ATOMKRAFT-AUSSTIEG:Keine Tränen für die Reaktoren
Es ist nicht Ideologie – es ist die Marktwirtschaft, die das Ende der nuklearen Verheißung einläutet. Die erneuerbaren Energien sind konkurrenzlos billiger, und sie brauchen keine Hintertür zum Klimaschutz.
er in den letzten Tagen tränenreich begleitete deutsche Atom-Exit lässt uns ahnen, wie es werden wird, wenn erst der letzte Verbrenner vom Fließband rollt. Dann wird vermutlich noch mehr gejammert und getanzt werden ums verglühende Feuer, weil ja dem Volk die industrielle Seele herausgerissen werde, indem der technische Wandel niederbügele, was so gut hätte werden können. Ja, was hätte im Kernland der Kernspaltung nicht alles aus dem Atomstrom werden können? Anfangs lieferte die nukleare Verheißung – zumindest bis der Traum vom Schnellen Brüter platzte – sogar die wahnwitzige Idee, Flugzeuge durch Kernspaltung anzutreiben oder die Brennstoffknappheit der Welt durch nukleare Sprengungen über tief gelegenen Gasvorkommen zu lösen. Das ist glücklicherweise alles längst vergessen, die Technikoptimisten von damals sind die Resteverwerter von heute.
In einem offenen Brief, den eine „pro-wissenschaftliche Initiative“ namens Replanet an Kanzler
Olaf Scholz richtete und mit einem Aufruf zum Weiterbetrieb der drei letzten deutschen Kernkraftwerke versah, haben sich neben dem deutschen Physik-Nobelpreisträger Klaus von Klitzing der amerikanische Laureat Steven Chu und diverse andere Experten für die Laufzeitverlängerung der Atommeiler „im Interesse der Bürger in Deutschland, Europas und der Welt“ ausgesprochen. Glaubt man den Umfragen, würden vier von fünf Deutschen das auch unterschreiben. Wohin also, so wäre zu fragen, mit all der frischen Atombegeisterung im Land, die nun hochgekocht wurde und wie heiße Lava aus dem alten Krater der parteiübergreifenden Atomausstiegsbeschlüsse kriecht? Abklingen lassen, wie es Kanzler Olaf Scholz sicher vorschwebt, oder doch bereit machen für ein kerntechnisches Revival, wie es der bayerische Ministerpräsident vorgibt anzustreben?
Nach all den nuklearpolitischen Wendungen der Vergangenheit spricht inzwischen vieles dafür, dass das neue Feuer schnell verlischt, und zwar marktwirtschaftlich getrieben, nicht etwa per Exekutivgewalt. Die inzwischen konkurrenzlos preiswerten Stromherstellungskosten für Sonnen- und Windenergie und der ökonomische Pragmatismus der Energiekonzerne („Planungssicherheit bitte“) sind kaum zu übergehen. Und das häufige, nicht nur im offenen Brief an Scholz insinuierte Missverständnis, mit emissionsfreiem Atomstrom ließe sich die Klimakrise lösen, dürfte sich angesichts aktuell schnell schrumpfender Anteile des Atomstroms am globalen Energiemarkt auch schnell auflösen.
Nicht Kohle löst die Atommeiler ab, schon gar nicht dauerhaft, das wissen alle.Vernünftigerweise ist es der Strom aus Erneuerbaren, der inzwischen billiger, nachhaltiger und gefahrloser produziert werden kann als alles, was seit der ersten nuklearen Verheißung vorstellbar war. Wir erinnern uns: „Freiheitsenergie“, das ist die Wortwahl des Atomfreundes und Technikoptimisten Christian Lindner. Etwas Verheißungsvolleres ist in der überhitzten, von Krisen eingeengten Welt kaum vorstellbar. Die Zukunft kann kommen.
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