Konzern unter Dauerstress
Die Strafanzeige und die Razzia in der Firmenzentrale kurz vor der Jahresbilanz belasten Wirecard schwer. Die Kritik an Vorstandschef Braun wächst. Auch der Abschlussprüfer EY gerät unter Druck.
Felix Holtermann Frankfurt
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Handelsblatt Montag der 08.06.2020 Seite 28
Die Ermittler gingen diskret vor, als sie am vergangenen Freitag die Zentrale des Zahlungsdienstleisters Wirecard durchsuchten. Kein Blaulicht, kein auffälliges Polizeiaufgebot sorgten in dem Gewerbegebiet in Aschheim bei München für Aufsehen. Die Staatsanwälte hatten es auf die Daten der Laptops und Smartphones der Vorstandsmitglieder des Dax-Konzerns abgesehen. Auslöser der Durchsuchungsaktion war eine Anzeige der Finanzaufsicht Bafin wegen Marktmanipulation, also der Täuschung der Anleger.
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Am Kapitalmarkt wurde der Prüfreport so negativ aufgefasst, dass die Aktie binnen zweier Tage um ein Drittel abstürzte. Einen Grund für die heftige Kursreaktion sehen Experten darin, dass Wirecard den Kapitalmarkt nicht auf die im Sonderbericht von KPMG monierten Probleme vorbereitet hatte. In den Wochen und Monaten zuvor hatte der Konzern die Anleger wiederholt mit vergleichsweise positiven Mitteilungen beruhigt - insbesondere rund um die vielen Terminverschiebungen. Zunächst erklärte der Konzern die Verlängerung des Prüfzeitraums vor allem mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Später erklärte er wiederholt, die Prüfer hätten keine substanziellen Probleme gefunden. Auch das Management übte sich in Optimismus. So sagte Braun gegenüber Großinvestoren bereits im Frühjahr: "Machen Sie sich keine Sorgen, alles wird in Ordnung sein." Selbst nach Erscheinen des KPMG-Berichts sagte er in einem Analysten-Call, der Abschlussprüfer EY habe "überhaupt keine Probleme", die Jahresbilanz 2019 freizugeben.
Umstrittene Aktienkäufe
Die Anzeige der Bafin ist nicht das einzige Problem, mit dem Braun derzeit zu kämpfen hat. Kurz vor Pfingsten, weniger als 30 Tage vor der geplanten Vorlage der Jahresbilanz am 18. Juni, kaufte der Vorstandschef Wirecard-Aktien. Auch diesen Vorgang nehmen die Finanzaufseher nun unter die Lupe. Governance-Experte Strenger stört, dass Braun die Aktien kaufte, während eigentlich vor der Veröffentlichung der verschobenen Jahreszahlen eine Sperrfrist galt: "Als Vorstandschef dürfte Braun über im Markt noch nicht bekannte Informationen verfügen. Aus gutem Grund sieht das Gesetz daher Closed Periods vor, in denen ein Vorstand keine Aktiengeschäfte tätigen darf. Das zu ignorieren sehe ich als schlicht falsch an." Der Verweis auf die bereits im März veröffentlichten vorläufigen Zahlen für 2019 überzeuge nicht: Seitdem dürfte "zu viel Kapitalmarktrelevantes" passiert sein.
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Die Zeit läuft ab
Wie viel Zeit bleibt dem Konzern, um die Zweifel auszuräumen? Ingo Speich glaubt, nicht mehr viel: "Wir Investoren haben oft angemahnt, dass das Unternehmen sich ändern muss. Das wurde wiederholt angekündigt, wirkliche Veränderungen wurden aber aufgeschoben. Ankündigungen zählen bei Wirecard nun nicht mehr, wir brauchen reale Umsetzungen. Wenn es keine dementsprechend harten Signale des Unternehmens gibt, stellt sich akut die Frage, ob der Markt der Wirecard-Führung weiter das Vertrauen ausspricht."
Viel hängt nun vom Handeln des Aufsichtsrats ab. Eine Krisensitzungen gab es nach der Razzia am Freitag nach Informationen des Handelsblatts nicht. Zentral für die Bewertung von Chefaufseher Thomas Eichelmann wird Finanzkreisen zufolge sein, wie das Bilanztestat von EY ausfällt. Bei den Marktmanipulationsermittlungen will der Aufsichtsratschef demnach abwarten, ob ein Gerichtsverfahren eröffnet wird. Kommt es dazu, könnte Braun für die Dauer des Verfahrens suspendiert werden. Einige Optionen hat Eichelmann bis zur Hauptversammlung am 26. August noch in der Hinterhand: Keiner der Ende des Jahres auslaufenden Vorstandsverträge wurde bisher verlängert.
"Der Vorstand ist zuversichtlich, dass sich die Vorwürfe als unbegründet erweisen werden."
Wirecard-Sprecherin