RE: Deutschland - Wirtschaftsnachrichten, Analyen, Prognosen
| 26.06.2024, 11:46 (Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 26.06.2024, 11:46 von Boy Plunger.)Zitat:Deutschland – "kranker Mann Europas" oder Bernd, das Brot?
Fast auf den Tag genau vor 25 Jahren goss "The Economist" seine Irritation über das damalige ökonomische Elend der Bundesrepublik in die Idee vom "kranken Mann Europas". Die Formulierung wurde ein Hit, vor allem bei uns. Wir neigen nämlich zu Selbstgeißelungen aller Art, weshalb niemand den "kranken Mann Europas" seither mit größerer Hingabe zitiert als wir.
Weil ich gerade eine Titelgeschichte fürs FOCUS Magazin rund um unsere aktuellen Krisen vorbereite, fragte ich mich: Wer oder was würde heute ähnlich beispielhaft fürs Land stehen wie der "kranke Mann" vor einem Vierteljahrhundert?
Am Ende blieb mir als perfekte Besetzung nur: Bernd, das Brot.
Das Comic-Kastenweißbrot mit der Mimimi-Mimik hat eine Riesen-Klappe, aber sehr kurze Ärmchen. Das heißt: Es hat zu allem eine Meinung, aber zu wenig Bewegungsfreiheit, um wirklich mal anzupacken. Eine richtige Arbeit zum Beispiel.
Deutschland-Bernd 2024 konzentriert sich lieber darauf, Tag und Nacht schlecht drauf zu sein. Er ist zugleich die konsequente Weiterentwicklung der "German Angst", für die wir im Rest der Welt schon länger berüchtigt sind.
Wir fürchten uns mit Hingabe und leiden auch gern. Am liebsten an uns selbst. Zur Not gehen allerdings auch Klimawandel, Heidi Klum, dieser schreckliche Kapitalismus, SUVs, Corona-"Schwurbler" oder ausländische Potentaten. Trump und Milei abwärts.
Eigentlich sind Deutschland-Bernds GEGEN alles. Gegen Schuldenbremse. Gegen Wachstum. Gegen Technologieoffenheit, doofe Bauern, China, Putin und Diesel-Fahrer. Aber natürlich auch gegen Rechts und Deutschland-Fähnchen (sofern die einen übersteigerten Nationalismus flankieren, und wer beurteilt das? Genau).
Die Krönung: Alte weiße Männer attackieren nun bisweilen alte weiße Männer als "alte weiße Männer". Mehr geht nicht in punkto Depri-Streber beim Bernd-Bingo.
Weil das irgendwann so nörgelig-negativ wirkte, wie es halt auch ist, kämpfen die Deutschland-Bernds nun tapfer FÜR ganz viel. FÜR Diversity. FÜR mehr Work-Life-Balance. Und ganz doll auch FÜR Demokratie, so lange das bedeutet, dass alle die gleiche Meinung haben. Die der Deutschland-Bernds.
"No Brainer", würden LinkedIn-Profis das nennen. Denn wer ist bitte gegen Demokratie? Ich nicht. Nur glaube ich, dass diese Demokratie viel widerstandsfähiger ist, als jene denken, die mich schon dann mit empörtem Bernd-das-Brot-Blick strafen, wenn ich Friedrich Merz immer noch nicht für einen rechten Hetzer halten mag.
Wissen Sie, was mich grübeln lässt? 1) Bernd, das Brot, wurde auf diese Weise ein Kika-Star. Unser Kinder wachsen demnach seit nunmehr 24 Jahren mit dieser Heulsuse als Role Model auf 2) Er hat einen weitaus opulenteren Wikipedia-Eintrag als viele deutsche Nobelpreisträger.
Vielleicht bin ich einfach noch nicht Bernd genug, um das zu verstehen?
Thomas Tuma
Chefautor | Mitglied der FOCUS-Chefredaktion
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