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Deutschland - Wirtschaftsnachrichten, Analyen, Prognosen
Notiz 

RE: Deutschland - Wirtschaftsnachrichten, Analyen, Prognosen

Zitat:Krise "wirklich dramatisch"
Wirtschaftsweiser Truger: "Bundesregierung müsste Notlage erklären"
09.10.2024

Auch dieses Jahr wird die Wirtschaft wohl erneut schrumpfen. Das ganze, dramatische Ausmaß der Krise werde deutlich, wenn man ein paar Jahre zurückblicke, sagt der Wirtschaftsweise Achim Truger ntv.de. Die Bundesregierung habe sich in eine "sehr schwierige Lage manövriert". Noch größere Sorgen macht Truger eine andere politische Entwicklung.

Die Bundesregierung hat - wieder einmal - ihre Wachstumsprognose gesenkt. Auch dieses Jahr wird die Wirtschaft wohl schrumpfen. Das dramatische Ausmaß der Krise werde deutlich, wenn man ein paar Jahre zurückblicke, sagt der Ökonom und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Achim Truger im Gespräch mit ntv.de. Die Bundesregierung habe sich mit ihrem Festhalten an der Schuldenbremse in eine "sehr schwierige Lage manövriert". Sorgen macht dem Wirtschaftsweisen noch eine andere politische Entwicklung.

ntv.de: Wir stecken nicht nur in einer einfachen Rezession, sondern die Bundesregierung prognostiziert jetzt auch ein zweites Jahr Rezession. Wie dramatisch ist das?

Achim Truger: Seit zwei Jahren schon wird immer wieder eine Erholung vorhergesagt. Die verzögert sich dann jedes Mal, und es wird auch schwächer und schlechter als erwartet. Laut aktuellen Prognosen steht für das laufende Jahr beim Wirtschaftswachstum schon wieder ein Minus vor dem Komma und auch fürs kommende Jahr wird nur eine schwache Erholung vorhergesagt. Man könnte sagen, das ist zwar eine ungewöhnlich lange Schwächephase, aber es ist noch nicht besonders dramatisch. Dramatisch wird es dadurch, dass die deutsche Wirtschaft seit 2019 praktisch nicht mehr gewachsen ist. Wir haben den Corona-Schock gehabt und danach die Energiekrise. Wir liegen jetzt mehr als fünf Prozent unter dem vor der Krise prognostizierten Wachstumstrend. Das ist wirklich dramatisch.

Ist das noch eine Konjunkturkrise oder eher eine strukturelle Wachstumsschwäche?

Man findet in jeder Krise immer konjunkturelle und strukturelle Dinge. Das geht auch teilweise fließend ineinander über. Eindeutig konjunkturell ist beispielsweise, dass der private Konsum nicht anspringt. Der ist erstmal auf Tauchstation gegangen, weil die Realeinkommen durch die hohe Inflation massiv runtergegangen sind. Das war ein riesiger, negativer Realeinkommensschock. Seit dem laufenden Jahr wachsen die Reallöhne wieder, sind aber noch weit vom Vorkrisenniveau entfernt. Dazu kommt eine hohe Verunsicherung bei Verbrauchern und Unternehmen.

Andere Krisenfaktoren sind eher struktureller Natur?

Schwieriger einzuordnen sind die Exporte und die schwache Entwicklung in der Industrie. Die Weltkonjunktur hat inzwischen deutlich angezogen. Aber das spiegelt sich nicht im Auftragseingang und den Exporten der deutschen Industrie wider. Es sieht danach aus, als ob sich die Nachfrage nach deutschen Industrieprodukten strukturell verändert. Ein Faktor dabei ist die verschlechterte Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der erhöhten Energiepreise in Deutschland. Ein zweiter Faktor ist China. China hat seine Strategie geändert, ist jetzt massiv in bislang klassische deutsche Absatzmärkte vorgedrungen. Das macht sich sowohl bei den deutschen Exporten nach China als auch in Drittmärkten bemerkbar. Wir spüren hier die Ausläufer eines neuen China-Schocks.

Im Fokus der wirtschaftspolitischen Debatte stehen noch andere strukturelle Krisenfaktoren, verbunden immer mit dem Ruf nach entsprechenden Reformen: die hohen Arbeitskosten, die Steuerlast, die überbordende Bürokratie.

Das sind Dauerbrenner, die immer bemüht werden. Deregulierung und Bürokratieabbau sind Klassiker. Und manche machen jetzt das Bürgergeld dafür verantwortlich, dass die Leute angeblich faul sind und vom Arbeiten abgehalten werden. Für mich sind das Nebenkriegsschauplätze. Natürlich wäre es wichtig, Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, vielleicht auch die Arbeitsanreize zu verbessern oder in die Bildung und Infrastruktur zu investieren. Das ist alles richtig. Aber das sind Dauerbrenner, die nicht die akute Krise erklären.

Wie erklären Sie die akute Krise?

Die akute Krise kommt maßgeblich daher, dass wir noch immer an den Folgen von Corona und insbesondere der Energiekrise leiden. Das hat die Unternehmen massiv belastet. Und bei der Energie zeichnet sich ja immer noch keine Entwarnung ab. Das verunsichert und verhindert Investitionen. Allein die Unsicherheit über die Finanz- und Wirtschaftspolitik ist ein Problem. Ich glaube, die Bundesregierung und wahrscheinlich auch die Ökonomen, also mich eingeschlossen, haben unterschätzt, was zum Beispiel dieser vorzeitige Wegfall der E-Auto-Prämie auslöst. Dasselbe gilt für Förderprogramme, etwa zur energetischen Sanierung, die jetzt nicht in dem Volumen laufen, wie sie sollten. Alles wegen knapper Kassen. In der jetzigen Situation geht es darum, einen Aufschwung hinzubekommen. Hier wäre ein Anschub durch die Finanzpolitik sinnvoll, aber zumindest keine Kürzungen und keine restriktive Finanzpolitik. Die Streitigkeiten innerhalb der Ampelkoalition und dieses aus meiner Sicht vollkommen falsche Festhalten an einer sehr eng ausgelegten Schuldenbremse befördern diese Krise. Da versündigt sich vor allem die FDP am Aufschwung.

An diese Analyse schließt sich die Frage an: Wie kommen wir aus dieser Krise wieder heraus?

Die Situation ist schwierig. Die Bundesregierung hat ihre Wachstumsinitiative vorgelegt und müsste die angesichts der Dramatik der Krise natürlich schnell verabschieden. Was da drinsteht, belastet aber die öffentlichen Haushalte. Der geplante Abbau der kalten Progression beispielsweise wird die öffentlichen Haushalte kräftig über mehrere Jahre belasten. Auch Abschreibungsvergünstigungen, die grundsätzlich sinnvoll sind, kosten viel Geld, besonders die Kommunen. Das hilft niemandem, wenn dann die Kommunen als wichtigste Investoren die öffentlichen Investitionen zurückfahren. Der entscheidende Fehler der Bundesregierung war, dass sie viel zu früh aus dem Krisenmodus umgeschaltet hat und schon 2023 meinte, ein Ende der "außergewöhnlichen Notlage" erklären zu können, die das Aussetzen der Schuldenbremse ermöglichte. Der ehrliche Weg wäre gewesen zu sagen: Das ist eine massive Krise und wir müssen die Ausnahmeregel so lange ziehen, wie sie andauert. Dann hätte man jetzt nicht die Finanzierungsprobleme. Und auf keinen Fall hätte man Kürzungsprogramme für die öffentlichen Haushalte auflegen dürfen.

Aber genau das ist passiert. Was für Möglichkeiten hat die Regierung jetzt noch?

Im Grunde genommen müsste die Bundesregierung jetzt wieder eine Notlage erklären und die Schuldenbremse aussetzen. Aus meiner Sicht wäre eine Notlage im Jahr 2025 im Rahmen der Schuldenbremse gerechtfertigt. Wenn man bei der Wirtschaftsleistung mehr als fünf Prozent unter dem Vorkrisentrend liegt und die Prognosen immer noch nicht wirklich aufwärts zeigen, kann man rechtfertigen, dass man noch mal richtig Geld in die Hand nimmt, um die Wirtschaft anzuschieben. Ich weiß, dass das in der aktuellen politischen Konstellation schwierig ist. Die Bundesregierung bekommt ja ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sie 2023 sagt, die Notlage sei vorbei, und nun soll sie plötzlich wieder da sein. Da hat sich die Ampel in eine schwierige Lage manövriert. Realistisch gesehen sollte die Regierung jetzt zumindest finanzpolitisch nicht weiter kürzen. Bei den Energiepreisen muss sie sehen, dass sie mit einer Überbrückung für Investitionssicherheit sorgt.

Die Opposition, aber auch Unternehmens- und Verbandsvertreter setzen stark auf Reformen bei dem, was Sie Dauerbrenner nennen, etwa Deregulierung, Arbeitsanreize im Zweifelsfall durch Kürzung von Sozialleistungen. Es tauchte auch schon das Stichwort Agenda 2030 nach dem Vorbild von 2010 auf. Was würde das bringen?


Die Agenda 2010 kann meiner Ansicht nach gar kein Vorbild sein. Vieles, was man damals gemacht hat, hat erstmal massiv die Konjunktur beeinträchtigt. Man hat ganz großzügig Steuern gesenkt, was aber nicht gegenfinanziert war. Dann ist man gegen die Maastricht-Kriterien gelaufen und hat angefangen, wie wild zu kürzen. Ganz viel von der Investitionsmisere und der Unterbesetzung in der Verwaltung geht auf diese Phase zurück. Ansonsten hat man durch Schaffung des Niedriglohnsektors die Menschen verunsichert, für viele schlechte Jobs gesorgt und die Einkommensungleichheit verschärft. Außerdem: Damals gab es Massenarbeitslosigkeit, heute haben wir Fachkräftemangel. Wie will man da die Knute auspacken und die Arbeitskräfte gängeln, die man eigentlich hofieren müsste?

Was die Debatte über das Bürgergeld angeht, halte ich sie einerseits für unehrlich, denn die Union hat ja die Inflationsanpassung mitgetragen. Und zum anderen glaube ich, dass dieses Nach-unten-treten nichts bringt. Es gibt verfassungsrechtlich enge Grenzen, was man beim Bürgergeld überhaupt machen kann. Ich finde eigentlich den Ansatz, es mit Anreizen wie einer Prämie für die Arbeitsaufnahme zu versuchen, vernünftig. Die Art, wie der Vorschlag jetzt verdammt wird, ist vollkommen unangemessen. Im Zweifel probiert man es mal aus.

Im Kern geht es bei dieser Reformdebatte um die Wettbewerbsfähigkeit vor allem der Exportindustrie, die sich, wie sie auch sagen, verschlechtert hat. Wäre da ein Absenken der Arbeitskosten auch durch Zurückhaltung bei den Löhnen nicht hilfreich?

Ich denke nein, das bringt nicht viel. Man muss sich genau anschauen, was für Strukturprobleme die Industrie hat. Kostenprobleme? Ja, bei der Energie. Aber in dem neuen Konkurrenzkampf gegen China, da geht es in erster Linie nicht um Kosten. Da brauchen die deutschen Unternehmen, auch bei den Autos, andere konkurrenzfähige Produkte. Da muss man mehr investieren in hochwertige, besonders gute Produkte. Das macht man sicherlich nicht durch Lohnzurückhaltung.

Wie optimistisch sind Sie, dass Deutschlands Wirtschaft bald wieder aus dieser Krise herauskommt? Was die politischen Spielräume angeht, scheinen sie etwas resigniert zu haben.

Ich sehe diese große Differenz zwischen dem, was jetzt getan werden müsste und was gerade politisch realistisch erscheint. Aber das könnte nach der nächsten Bundestagswahl schon anders aussehen. Zentral ist eine Reform der Schuldenbremse. Ganz viele sehr notwendige Investitionen und auch ein kurzfristiges Anschieben der Wirtschaft sollten sinnvollerweise mit Schulden finanziert werden. Ich bin optimistisch, dass es eine Reform der Schuldenbremse, unabhängig von den künftigen Mehrheitsverhältnissen nach der nächsten Wahl, geben wird. Die Union hat sich da schon stark bewegt. Was mich dagegen beunruhigt, ist die hitzige, vergiftete Art, wie die Debatten – auch wirtschaftspolitische - geführt werden. Die Opposition hat die Grünen und gerade Wirtschaftsminister Robert Habeck zum Buhmann für fast alle Probleme gemacht. Dabei hatten Regierung und Opposition in der Energiekrise doch noch einigermaßen zusammengestanden und gemeinsam viel Gutes geschafft. Es ist bedauerlich, dass sie diesen Geist nicht beibehalten haben, angesichts der nach wie vor großen Aufgaben.

Mit Achim Truger sprach Max Borowski.

https://www.n-tv.de/wirtschaft/Wirtschaf...79935.html

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Kinder wollen nicht wie Fässer gefüllt, sondern wie Fackeln entzündet werden.


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RE: Deutschland - Wirtschaftsnachrichten, Analyen, Prognosen - von saphir - 09.10.2024, 19:20

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