RE: Auf zweifachen Wunsch
| 03.09.2022, 11:36 (Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 03.09.2022, 11:37 von Lancelot.)(02.09.2022, 18:33)boersenkater schrieb: Ich habe eine ungefähre Vorstellung was Du von mir denkst, weil Du Dir nicht vorstellen kannst
das jemand im kurzfristigen Bereich diskretionär erfolgreich sein kann - nur mit Charttechnik.
Kann ich mir schon vorstellen. Halte ich in vielen Fällen halt nicht wirklich für wahrscheinlich. Aber warum solltest du Lügen? Wenn dein Kontostand sagt du bist profitabel, dann wird das schon so sein. Vermute ich mal.
Deine Ausführungen zum Thema sind für mich voll nachvollziehbar - mit hoher Wahrscheinlichkeit
nachvollziehbarer als für irgendjemand sonst hier. Weil das was man allgemein darunter versteht
und wie man es anwendet oder wie gesagt wird das man es anwendet - so nicht funkioniert -
oder nur phasenweise funktioniert - oder nur mit entsprechendem RM funktioniert das die Verluste
in denen es überhaupt nicht funktioniert klein hält - alles in allem sehr anstrengend.
Das was ich mache basiert zwar auf Charttechnik aber ist sehr viel komplexer und umfangreicher.
Das denke ich mir. Charttechnik ist nur eine Mischung aus compression (den komplexen Zustand komprimieren) und Filter. Eine Menge Sachen aus der Charttechnik kommen eigentlich aus der Regelungstechnik. Das denke ich mir. Wenn dein Gehirn ein neuronales Netz wäre, dann ist Charttechnik nur die ersten layer, die Features erzeugen und filter/denoise anwenden.
Du bist anders unterwegs - oder willst anders unterwegs sein - obwohl es eigentlich gar nicht so viel
anders ist.... Der Unterschied ist der das Du die Parameter in einen Code packst während ich das
ganze visuell sichtbar mache.
Für ein entsprechend aufgestelltes Unternehmen mit der richtigen Man-Power den technischen und
finanziellen Möglichkeiten ist es wahrscheinlich eher möglich. Ein privater Trader der versucht
automatisierte Systeme zu programmieren müsste diese ständig anpassen damit sie funktionieren.
Ja. Ich kenne jemanden der mach als ein-Mann Unternehmen Market Making an einem emerging market. Das ist dann ein Vollzeit Job. Auch wenn die Systemlandschaft und Monitoring bereit stehen: ein 24/7 System muss trotzdem teilweise manuell gemontored werden und die Algorithmen müssen weiterentwickelt werden.
Irgendwas rauszusuchen was in der Vergangenheit funktioniert hätte - validiert durch einen Backtest -
wird in der Zukunft nur phasenweise in ähnlichen Situationen funktionieren - also letzten Endes nur
in eng begrenzten Zeitabschnitten die ein Backtest für die Zukunft nicht voraussagen kann -
außer der Code ist komlex genug dafür. Unterm Strich im Grunde auch nicht anders wie jemand der
das ganze mit einfacher "Standard-Charttechnik" versucht.
Genau deshalb denke ich das ein privater Trader der versucht irgendwas zusammen zu programmieren
wenn überhaupt nur phasenweise erfolgreich sein wird. Am Ende wird er aber scheitern weil er nicht
die Möglichkeiten hat die komplexen Strategien zu programmieren die nötig wären damit diese sich
ständig an das Chaos anpassen können.
Im Market Making sind die meisten Strategien nicht wirklich super komplex. Jedenfalls nicht die ich kenne und auch nicht was mir so erzählt wird. Ausnahmen gibt es (so wird mir berichtet). Aber der Großteil der Algos am Markt sind vergleichsweise simpel. In der Branche gibt es einen bekannten Mythos (der wird so nicht stimmen): Rentech steht hunderte top PhDs ein um dann lineare Regression zu machen. Die Kunst ist zu wissen, was man auf was regressieren muss.
Das hier ist ein tolles Beispiel: https://www.kaggle.com/c/jane-street-market-prediction
Eine offizielle competition von Janestreet. Die features sind anonymisiert. Wenn du diese features verwendets, bist du mit einem simplen Algo schon profitabel. Muss dir nur noch jemand die features verraten :).
Im kurzfristigen Bereich halte ich das für sehr schwierig - im langfristigen Bereich könnte es eher möglich
sein. Aber dann wird das ganze auch sehr grob und somit muss auch mit entsprechener Volatilität
gerechnet werden - was dann ein entsprechendes Risiko-Moneymanagement braucht - wofür dann
wieder entsprechende finanzielle Möglichkeiten vorhanden sein müssen. Außer man handelt mit so
kleinen Positionen das es nie wirklich gefährlich werden kann - dann wird sich das aber kaum oder nur
dann lohnen wenn es sehr langfristig läuft.
Wer kauft nach mir? Im Grunde läuft es auf das gleiche hinaus aber die Frage sollte eher sein
warum jemand nach mir kaufen sollte. Also in diesem Sinne - Wer kauft warum?
Oder noch besser - wie viele kaufen warum?
Welche Situationen führen zu mehr oder zu weniger Käufern/Verkäufern? Je mehr desto
höher die Dynamik, desto stärker die Bewegung.
Ich hatte oft die Situation das etwas was in der Vergangenheit funktioniert hat plötzlich
anders als erwartet funktioniert hat - sowohl besser als auch schlechter - oder aber überhaupt
nicht mehr.
Für mich ging es dann nur noch um das Warum hat es sich jetzt so bewegt - warum hat er
jetzt an der Stelle gedreht obwohl er eigentlich weiter laufen sollte - oder warum hat er hier
weniger Strecke gemacht als erwartet - oder warum hat er hier viel mehr Strecke gemacht
als erwartet?
Von daher - wer kauft nach mir ist relevant - aber genau betrachtet geht es nicht darum
wer kauft sondern darum warum er kauft oder verkauft - je höher die Schnittmenge der
potenziellen Käufer/Verkäufer ist, desto mehr Dynamik entsteht in der Bewegung.
Wenn man das ganze mit dem Ansatz "Warum" angeht und man viele Sichtweisen, Antworten
hätte, dann würde die Sache anders aussehen.
Dann wäre die Programmierung aber auch sehr komplex mit sehr vielen aufeinander
abgestimmten Parametern und im Grunde je nach Situation auch viele verschiedene
Strategien (Reaktionen des Systems) innerhalb der Strategie.
Bei mir ist am Ende etwas herausgekommen was ich am ehesten damit beschreiben würde
das ich das was ein Algo-Trader in seine Blackbox zu packen versucht (was scheitert weil
es nicht komplex genug ist und nur einen Bruchteil der notwendigen Parametern enthält)
für mich visuell sichtbar gemacht habe.
Wenn Du das ganze automatisiert machen willst - mathematisch, statisch - dann wirst Du
das eher im langfristigen Bereich mit entsprechend wenig Handel / Trades schaffen.
Je kurzfristiger Du handeln willst, desto komplexer wird es - auch wenn ich Dich für einen
sehr intelligenten Menschen halte - das wird schwer bis unmöglich weil Du das alleine nicht
schaffen kannst was Firmen wie Du sie ja immer wieder erwähnst nur deshalb schaffen
weil sie entsprechende Möglichkeiten haben - ein paar dutzend oder sogar ein paar hundert
Mitarbeiter verschiedener Fachbereiche, riesige Rechenpower, direkte kürzeste Anbindung
am Börsenplatz, finanzelle Mittel.
Ich habe für so eine Firma gearbeitet. Ich denke schon das ich irgendwas profitables an den Start bringen könnte. Aber wenn dann nur auf dem kurzfristigen Horizont und primär nur Market Making. Oder anderen obskuren Scheiss. Insbesondere in den weniger kompetitiven Märkten und Assetklassen. Auf den ersten (kurzen) Blick habe ich zum Beispiel das Gefühl, das man kleinere deutsche ETFs arbitrieren kann. Selbst Colocation ist nicht sooo teuer. Aber das ist halt nen Vollzeit Job. Und da mach ich lieber was anderes.
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Forum-Besserwisser und Wissenschafts-Faschist