letzten Freitag lief auf ZDFinfo "Das Kapital im 21. Jahrhundert". Es ist eine gelungene audio-visuelle Buchbesprechung mit Interview-Auszügen mit dem Autor Thomas Piketty, die zum Lesen des Buches anregt. Das Buch erschien 2013, zum internationalen Bestseller wurde die englische Ausgabe 2014. An dem Film hat mir die Zusammenstellung gut gefallen, manche der Bilder sah ich zum ersten Mal. Viele davon wurden auch mit Tönen und Musik unterlegt. Sie sollen die Argumentation unterstützen.
Zitat:Das Buch thematisiert grundlegende Fragen des Kapitals sowie der Vermögensungleichheit und Einkommensungleichheit. Dabei untersucht es die Veränderungen in der Vermögensverteilung und Einkommensverteilung seit dem 18. Jahrhundert. Piketty vertritt darin die Thesen, die Vermögenskonzentration sei seit Mitte des 20. Jahrhunderts in den Industrienationen deutlich gestiegen, eine Zunahme der Ungleichheit gehöre wesentlich zum Kapitalismus und eine unkontrollierte Zunahme der Ungleichheit bedrohe Demokratie und Wirtschaft. Quelle Wikipedia
Ich habe immer davor gescheut mir den Wälzer zu kaufen, wenn er dann nur als Staubfänger rumliegt. Jetzt hatte ich die Gelegenheit und konnte das Buch als PDF lesen (Seitenangaben beziehen sich auf das PDF, keine Garantie dass es mit der Buchausgabe übereinstimmt). Wobei, bei über 700 Seiten bin ich gerade mal bei den ersten Kapiteln.
Was mir gefällt: Piketty bringt literarische Werke als Beispiele, die berühmtesten sind Austens Roman "Sinn und Sinnlichkeit" und Balzacs "Goriot" (S. 69). Das spricht mich an, denn ich lese gerne die Klassiker und achte dabei auf Hinweise zu ökonomischer Lage und allgemeiner Wirtschaftssitutation. Bei Dickens ist das einfach, da sind die meisten Figuren bettelarm, bei Huysmans "Gegen den Strich" hingegen schreibt die Romanfigur über ihre Geldanlagen. Ein Jahrhundert lang gab es in Frankreich keine Inflation (1815-1914) und Staatsanleihen waren sicher. Als Proust seinen Romanzyklus schrieb da sprang die Inflation an und vernichtete viele Anlagewerte. Bei Austen hat mich die Vernarrtheit der Romanfigur in das Geld eher abgestossen, die Angaben zu den jährlichen Pachten war verwirrend. Piketty erklärt, dass die Zinsen und die Inflation damals so stabil waren, dass jeder wusste dass die z.B. 10.000 Pacht sich auf konstante 5% bezogen und das Vermögen deshalb 200.000 betragen musste.
Er zeigt auf wie schwierig es ist das Datenmaterial zusammenzustellen. Und bei seinen grundlegenden Definitionen (was ist Kapital?, S. 60) geht er eigene Wege. Dennoch finde ich es bemerkenswert, was er da geleistet hat.
Ich hielt Piketty immer für eine rote Socke und seine jüngsten Äusserungen bestätigen meine Sichtweise. Immerhin schreibt er auf S. 44, dass er als Student im Ostblock war zur Zeit der Wende, aber das er nie Sympathien für den Kommunismus hatte. Der Buchtitel ist natürlich eine Anspielung auf Marx, das verkauft sich besser. Aber inhaltlich besser wäre der Titel "Das Vermögen im 21. Jahrhundert". Und Vermögen geht jeden ernsthaften Börsianer etwas an!
Piketty ist mal gefragt worden, was denn die positivste Eigenschaft von Ungleichheit ist. Seine Antwort war, dass es komplette Gleichheit sinnlos wäre und in allen Gesellschaftsschichten gibt es ein bestimmtes Mass an sozialer Schichtung. Aber er sieht global einen langfristigen Lernprozess und einen Trend zu mehr Gleichheit und er möchte das dieser Trend weitergeht.
Im Film wird gegen Ende das Schicksal der Pferde mit dem der Menschen allegorisch verknüpft. Früher brauchte man Pferde und durch den technischen Fortschritt dann nicht mehr. Bisher brauchte man Humankapital aber wenn Technologie alle Fähigkeiten der Menschen beherrscht, dann droht den Menschen das gleiche Schicksal wie den Pferden. Beim Kapitalismus geht es nämlich gar nicht um Arbeit, es geht um Kapital.
bis in die 1980er Jahre gab es in den USA einen Spitzensteuersatz von 90% bei einem gleichzeitigen Wirtschaftswachstum von über 2%. Jetzt gibt es zahlreiche Milliardäre, einen viel geringeren Spitzensteuersatz von 39,6% aber das Wirtschaftswachstum fällt auf etwas über 1% (Stand 2019). So Pikettys Argumentation für eine höhere Besteuerung...
das Thema Wachstum ist essentiell beim Kapitalismus, das Thema Ökologie auch (wieviel CO2 verbraucht Bill Gates, hat das schon mal jemand ausgerechnet?)
echt guter Stoff