Ich stelle hier mal den Text meiner kurzen verfassungsrechtlichen Würdigung als Post ein, den Link zur Word-Datei gabs ja früher von mir:
Verfassungsrechtliche Würdigung des § 20 Abs. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (zuletzt geändert durch Art. 1 Nr. 9 b) des Jahressteuergesetzes 2020 vom 21. Dezember 2020)
1. Zusammenfassung
§ 20 Abs. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist mit Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar und daher nichtig.
2. Beschreibung
2.1 Gesetz und Begründung
§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG lautet in seiner aktuellen Fassung wie folgt:
„Verluste aus Kapitalvermögen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 3 dürfen nur in Höhe von 20 000 Euro mit Gewinnen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 3 und mit Einkünften im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 11 ausgeglichen werden; die Sätze 2 und 3 gelten sinngemäß mit der Maßgabe, dass nicht verrechnete Verluste je Folgejahr nur bis zur Höhe von 20 000 Euro mit Gewinnen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 3 und mit Einkünften im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 11 verrechnet werden dürfen.“
Die Gesetzesbegründung für die Einführung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG mit Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen vom 21.12.2019 lautete:
„Durch die Regelung in § 20 Absatz 6 Satz 5 – neu – EStG können Verluste aus Termingeschäften, insbesondere aus dem Verfall von Optionen, nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit den Erträgen aus Stillhaltergeschäften ausgeglichen werden. Die Verlustverrechnung ist beschränkt auf 10 000 Euro. Nicht verrechnete Verluste können auf Folgejahre vorgetragen werden und jeweils in Höhe von 10 000 Euro mit Gewinnen aus Temin-geschäften oder mit Stillhalterprämien verrechnet werden, wenn nach der unterjährigen Verlustverrechnung ein verrechenbarer Gewinn verbleibt. Die Verluste können nicht mit anderen Kapitalerträgen verrechnet werden. Termingeschäfte sind durch ihre begrenzte Laufzeit und durch Hebeleffekte in wesentlichem Umfang spekulativ. Es können einerseits hohe Gewinne und andererseits der Totalverlust der Anlage eintreten. Diese Effekte treten bei anderen Kapitalanlagen nicht in vergleichbarem Ausmaß auf. Verluste aus Termingeschäften werden deshalb in einem besonderen Verlustverrechnungskreis berücksichtigt, um das Investitionsvolumen und die daraus für Anleger entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen zu begrenzen. Die Berücksichtigung der Verluste wird nicht generell versagt. Die Verlustnutzung wird zeitlich gestreckt und die Verluste werden veranlagungsübergreifend berücksichtigt.“
2.2 Sachverhalt
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG schafft eine Einschränkung der Verlustverrechnung auf 20.000 € für Termingeschäfte (Verluste aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 EStG) und einen neuen Verlustverrechnungskreis für Termingeschäfte und Stillhaltergeschäfte (§ 20 Absatz 1 Nummer 11 EStG).
§ 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 EStG benennt Termingeschäfte, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt. Der Begriff des Termingeschäfts wurde vom BMF nach der obigen Gesetzesänderung neu definiert und ist im aktuellen BMF-Schreiben vom 19.05.2022 (GZ: IV C 1 - S 2252/19/10003 :009) dargelegt. Er betrifft weiterhin eine Vielzahl von Geschäften, die sich auf zugrunde liegende Basiswerte beziehen. Basiswerte sind im Wesentlichen Aktien, Anleihen, Indizes oder Rohstoffe.
Termingeschäfte bzw. Derivate dienen im Wertpapierhandel der Absicherung und Übertragung von Risiken. Es existieren klassische Derivate (Optionen, Futures usw.) und Retailprodukte (z.B. Optionsscheine, die nicht mehr als Termingeschäft zählen).
Der wesentliche Vorteil von Optionen liegt im auf die Optionsprämie beschränkten Risiko. Optionen und ähnliche Produkte wurden zur Absicherung anderer Positionen geschaffen und haben daher einen Versicherungscharakter. Diese Versicherungsmöglichkeit wird nunmehr für Privatanleger eingeschränkt, da die Höhe der steuerlich verrechenbaren „Versicherungsprämie“ auf 20.000 Euro begrenzt wird. Daraus ergibt sich eine Benachteiligung gegenüber ausländischen oder gewerbsmäßigen Investoren.
Für die Privatanleger entsteht höchstes Risiko und Unsicherheit durch eine unberechenbare Steuerlast, gegen die der Anleger sich nicht absichern kann. Die Begrenzung auf 20.000 Euro motiviert stattdessen den Anleger preiswertere, aber nicht bessere Sicherungsgeschäfte abzuschließen, z.B. durch Put-Optionen, die aus dem Geld liegen.
Gemäß der bisherigen steuerrechtlichen Behandlung und der Grundkonzeption des Einkommensteuergesetzes ergibt sich der steuerrechtliche Gewinn aus der Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben. Die Behandlung von Verlusten als Ausgaben bei Kapitaleinkünften wegen gleichartiger Einnahmen ist folgerichtig.
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG durchbricht für die steuerliche Behandlung der Termingeschäfte obige Definition. Gemäß der Gesetzesbegründung seien Termingeschäfte spekulativer als andere Kapitalerträge und deshalb ein eigener Verlustverrechnungskreis erforderlich, um das Investitionsvolumen und die daraus für Anleger entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen zu begrenzen. Eine Begründung für die Beschränkung der Verlustverrechnung selbst fehlt. Stattdessen wird nur ausgeführt, dass die Verlustnutzung nicht versagt, sondern zeitlich gestreckt würde.
In einer Stellungnahme des Bundesrats vom 09.10.2020 wird der Vorschlag der Streichung des § 20 Absatz 6 Satz 5 EStG mit einem Verstoß gegen das verfassungsrechtlich maßgebende Nettoprinzip begründet.
2.3 Auswirkungen der Gesetzesänderung
Verluste aus Termingeschäften ergeben sich i.S. der Gesetzesänderung aus der Summe aller negativen Einzeltransaktionen eines Jahres (Bruttoverluste). Es wird also kein Jahresendsaldo begrenzt, sondern der Umsatz aus negativen Transaktionen.
Bei Kunden von deutschen Finanzinstituten wird zukünftig bei der Berechnung der Abgeltungsteuer die unterjährige Gegenrechnung von Verlusten gänzlich entfallen. Sonst wäre eine Gewährleistung der Verlustverrechnungsbeschränkung von 20.000 Euro nicht gegeben, da die Kunden den Betrag mehrfach (bei verschiedenen Finanzinstituten) in Anspruch nehmen könnten. Verluste aus Termingeschäften werden daher überhaupt erst im Rahmen des Veranlagungsverfahrens (bis zu 20.000 Euro) angesetzt werden können. Das bedeutet einen sofortigen, steten und während des Jahres irreversiblen Verlust von Kapital.
Bei Kunden von ausländischen Finanzinstituten entstehen stattdessen steuerbare Scheingewinne und dadurch Steuernachzahlungen in erheblicher Höhe, die ggf. das Vermögen des Anlegers übersteigen.
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG führt tatsächlich zu einer versteckten Transaktionssteuer, ähnlich einer Umsatzsteuer, jedoch ohne Vorsteuerabzug. Die individuelle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen (gemäß Nettogewinn) wird nicht berücksichtigt.
Da die Nutzung des eingeräumten Verlustvortrags unwahrscheinlich ist, da sich die Problematik jedes Jahr wiederholt, führt die Neuregelung letztendlich zu einer dauerhaften Substanzbesteuerung.
3. Verletzung von Grundrechten
3.1 Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG
Durch § 20 Absatz 6 Satz 5 EStG wird das Gleichbehandlungsgrundrecht verletzt. Danach sind willkürliche Differenzierungen verboten, sie sind ohne angemessene Sachgründe nicht erlaubt. Der Gesetzgeber hat hier erschwerender Weise überhaupt keine Begründung für die Beschränkung der Verlustverrechnung vorgelegt, sondern sie nur durch den Hinweis auf den möglichen Verlustvortrag verharmlost.
Gemäß der Vorgabe der horizontalen Steuergerechtigkeit sind Steuerpflichtige mit gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern.
Die vertikale Steuergerechtigkeit fordert, dass die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss.
Die Besteuerung muss belastungsgleich sein, jede Ausnahme bedarf eines besonderen sachlichen Grundes. Begünstigungen oder Belastungen sind nur in gewissem Maße erlaubt.
Folgende Beispiele zeigen die enorme Ungleichbehandlung gleichartiger Fälle:
Beispiel 1:
Summe der Gewinn-Transaktionen: 30.000 €
Summe der Verlust-Transaktionen: 20.000 €
Einkommen: 10.000 €
Bemessungsgrundlage: 10.000 €
Einkommensteuer: 2.500 €
Beispiel 2:
Summe der Gewinn-Transaktionen: 100.000 €
Summe der Verlust-Transaktionen: 90.000 €
Einkommen: 10.000 €
Bemessungsgrundlage: 80.000 €
Einkommensteuer: 20.000 €
Trotz des gleichen Einkommens i.H.v. 10.000 € differiert die sich ergebende Einkommensteuer um das Achtfache.
Für das Einkommensteuergesetz liegt die Grenze des Gesetzgebers im Gebot der finanziellen Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit. Ausnahmen von der Folgerichtigkeit für außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke und Vereinfachungserfordernisse sind erlaubt, allerdings nicht für rein fiskalische Zwecke.
Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen muss gemäß objektivem und subjektivem Nettoprinzip berücksichtigt werden. Der Einkommensteuer unterliegt nur das Nettoeinkommen (Saldo aus Einnahmen und Ausgaben). Ausnahmen vom Nettoprinzip fordern einen besonderen Grund. Die Bemessungsgrundlage muss sachgerecht und realitätsgerecht sein.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zu beachten. Das fordert Rationalität (Eignung und Erforderlichkeit der Beeinträchtigung) und Abgewogenheit.
Der Halbteilungsgrundsatz wird nicht gewahrt. § 20 Absatz 6 Satz 5 EStG definiert einen fiktiven nicht realen Gewinn durch Nichtanerkennung von Ausgaben. Der Steuersatz auf den realen Gewinn übersteigt ggf. deutlich 50%. Der reale Steuersatz kann sogar weit über 100% steigen. Selbst Steuern auf Verluste sind möglich, wie folgendes Beispiel zeigt:
Summe der Gewinn-Transaktionen: 30.000 €
Summe der Verlust-Transaktionen: 40.000 €
Einkommen: -10.000 €
Bemessungsgrundlage: 10.000 €
Einkommensteuer: 2.500 €
Dies führt zu einer ungerechten Besteuerung, da der Steuerpflichtigen durch die Erzielung von Einnahmen ärmer wird. Die Neuregelung führt zu einer vollständigen Sozialisierung des Gewinns und einer Sanktionierung der Einnahmeerzielung. Im Ergebnis kommt es zum Entzug des Kapitals und der Existenzgefährdung des Anlegers.
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG stellt einen Verstoß gegen das Prinzip der Folgerichtigkeit dar. Der Grundsatz der Belastungsgerechtigkeit wird verletzt. Es werden nicht Gewinne, sondern Einnahmen besteuert. Der Umsatz sagt aber nichts zur Leistungsfähigkeit aus, da hohen Einnahmen hohe Ausgaben gegenüberstehen können.
Es besteht die Gefahr der Ausweitung des neuen Prinzips mit allgemeiner Abkehr von der Belastungsgerechtigkeit. Das Einkommensteuergesetz hat nicht die Aufgabe, bestimmte Einkünfte einzuschränken oder Produkte zu verbieten. Würde man das neue Prinzip der Verlustverrechnungsbeschränkung auf eine Ausgabenverrechnungsbeschränkung ausweiten, wäre die Diskriminierung vieler Geschäftsbereiche möglich.
Die Ungleichbehandlung mit Kapitalgesellschaften (z.B. zur GmbH) ist offensichtlich und wird nicht erklärt. Dem Anleger würden zusätzliche Risiken und zusätzliche Kosten einer Kapitalgesellschaft aufgebürdet, um die Anwendung des § 20 Absatz 6 Satz 5 EStG zu umgehen, ohne dass dafür Vorteile ersichtlich sind.
Die feste Grenze von 20.000 € ist willkürlich gewählt und nur auf den Umsatz abgestellt. Der gleiche Nettogewinn kann über verschiedene Wege erreicht werden, höhere Summen mit weniger Risiko werden benachteiligt. Auch die Argumentation, 20.000 € seien ein ausreichend hoher Betrag, schlägt fehl. Ein Einsatz von mehr als 20.000 € bei entsprechenden Gegenschäften kann sicherer sein, als der Einsatz von 10.000 € ohne Gegengeschäft. Hierzu zwei vereinfacht dargestellte Beispiele:
Beispiel 1:
Long Call: 10.000 €
Ausfallrisiko: 10.000 €
Beispiel 2:
Long Call: 30.000 €
Long Put: 25.000 €
Ausfallrisiko (vereinfacht): 5.000 €
Die angebliche Intention des Anlegerschutzes ist durch die steuerlichen Risiken ins Gegenteil verkehrt. Die Einkommensteuer würde in eine Vermögensteuer übergehen, das Angreifen des Kapitalstocks ist ein Eingriff in das Eigentum.
Die Ungleichbehandlung von Einnahmen und Ausgaben ist systemwidrig. Bei steigenden Kursen werden Gewinne als Einnahmen besteuert, bei fallenden Kursen erfolgt keine Berücksichtigung.
Gewinne und Verluste sind ihrem Wesen nach identisch, nicht trennbar. Verluste sind keine unnötigen Luxus-Ausgaben, sondern nötige Kosten.
Der Gewinn des einen Anlegers ist regelmäßig der Verlust des anderen. Ein einheitlicher Erwerbsvorgang wird nunmehr unterschiedlich besteuert, je nachdem, ob es zum Vorteil oder zum Nachteil des Staates ist.
Ggf. wird die Verschuldung des Steuerpflichtigen erzwungen, weil durch Verluste die finanziellen Mittel aufgebraucht werden, aber trotzdem noch Steuer entsteht.
Der Gewinn eines Anlegers ist grundsätzlich die Differenz zwischen eingesetztem und erlöstem Kapital. Hinreichend für eine erfolgreiche Kapitalanlage ist es, dass Gewinne die Verluste übersteigen. Nun sind aber zusätzliche Gewinne nur zur Deckung der zusätzlichen Steuerschuld nötig.
Rechtfertigungsgründe sind wie oben beschrieben nicht vorhanden, im Gegensatz zu anderen Beschränkungen im EStG.
Drohende Aufkommensverluste des Staats wären als Argument nicht stichhaltig. Das Ausweichen des Anlegers durch weniger Handeln ist keine akzeptable Option, eine Einkommenserzielung ohne Verluste ist nicht möglich. Die Höhe von Verluste ist nicht durch den Anleger steuerbar.
Die Begünstigung durch den Abgeltungssteuersatz stellt keine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung dar. Das war seinerzeit die Vorbelastung auf Seiten der Aktiengesellschaft.
Das Argument des Anlegerschutzes greift nicht. Die Nichtanerkennung von Verlusten ist kein Schutz, sondern führt zu höherer Steuer und führt nicht zu positivem Verhalten. Außerdem wird der Vermögensschutz durch Optionen erschwert.
Eine Rechtfertigung aus rein fiskalischen Gründen scheitert an der Güterabwägung.
Für Anleger in Derivaten führt die Neuregelung zur Beendigung ihrer Anlagetätigkeit, zusätzliche Einnahmen für den Staat sind nicht erkennbar. Die Steuereinnahmen werden eher sinken als steigen.
3.2 Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG stellt einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit dar. Die Berufsfreiheit ist für die Ausübung anderer Freiheitsrechte nötig. Sie schützt auch die freie Berufsausübung und freie Berufswahl.
Es reicht dabei das Bestreben, überhaupt Einkünfte zu generieren. Auch die Tätigkeit „Traden“ ist ein verfassungsrechtlich geschützter Beruf. Das Handeln mit Wertpapieren erfolgt dabei dauerhaft und zur Schaffung einer Lebensgrundlage.
Die Neuregelung verbietet den Beruf des Traders nicht direkt, macht aber dessen Ausübung finanziell uninteressant. Es ist keine Absicherung mehr möglich und somit keine vernünftige Balance zwischen Chancen und Risiken.
Die betroffenen Wertpapiere sind nicht durch andere gleichwertige ersetzbar.
Die Streckung der Verluste auf mehrere Jahre hilft hier nicht, sie führt nur zur jährlichen Steigerung des Verlustvortrags.
3.3 Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG führt zu einem Verstoß gegen das Eigentumsgrundrecht. Die Eigentumsgarantie gilt auch für Wertpapiere.
Der Staat erhält Zugriff auf das gesamte Vermögen des Steuerpflichtigen. Die Steuer kann Gewinn und eingesetztes Kapital übersteigen.
Die Grundsätze einer gleichmäßigen und leistungsgerechten Steuer sind nicht gewahrt.
Es besteht die Gefahr der Überschuldung aus rein steuerlichen Gründen.
Die deutschen Finanzinstitute wandten die Neuregelung in 2021 gemäß BMF-Schreiben vom 11.11.2020 noch nicht an. Erst im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 2021 entstand dadurch ggf. eine erhebliche Nachzahlungspflicht, die das gesamte Vermögen übersteigen konnte. Die Höhe ist nicht abschätzbar, da fiktive Gewinne besteuert werden.
4. Fazit
§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG verletzt den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da er das Leistungsfähigkeitsprinzip negiert. Die Regelung kann zur Entstehung von Einkommensteuer bei Verlusten, oder Steuersätzen über 50%, gar über 100% führen.
§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG stellt einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit dar, weil der Beruf des „Traders“ mit Termingeschäften unter den neuen Umständen nicht mehr wirtschaftlich möglich ist.
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG führt zu einem Verstoß gegen das Eigentumsgrundrecht, weil die Entstehung von Einkommensteuer bei Verlusten zu einer Vermögensminderung oder gar Vermögensvernichtung führt.
§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist daher aufzuheben.
Verfassungsrechtliche Würdigung des § 20 Abs. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (zuletzt geändert durch Art. 1 Nr. 9 b) des Jahressteuergesetzes 2020 vom 21. Dezember 2020)
1. Zusammenfassung
§ 20 Abs. 6 Satz 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ist mit Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes unvereinbar und daher nichtig.
2. Beschreibung
2.1 Gesetz und Begründung
§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG lautet in seiner aktuellen Fassung wie folgt:
„Verluste aus Kapitalvermögen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 3 dürfen nur in Höhe von 20 000 Euro mit Gewinnen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 3 und mit Einkünften im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 11 ausgeglichen werden; die Sätze 2 und 3 gelten sinngemäß mit der Maßgabe, dass nicht verrechnete Verluste je Folgejahr nur bis zur Höhe von 20 000 Euro mit Gewinnen im Sinne des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 3 und mit Einkünften im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 11 verrechnet werden dürfen.“
Die Gesetzesbegründung für die Einführung des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG mit Art. 5 Nr. 1 des Gesetzes zur Einführung einer Pflicht zur Mitteilung grenzüberschreitender Steuergestaltungen vom 21.12.2019 lautete:
„Durch die Regelung in § 20 Absatz 6 Satz 5 – neu – EStG können Verluste aus Termingeschäften, insbesondere aus dem Verfall von Optionen, nur mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit den Erträgen aus Stillhaltergeschäften ausgeglichen werden. Die Verlustverrechnung ist beschränkt auf 10 000 Euro. Nicht verrechnete Verluste können auf Folgejahre vorgetragen werden und jeweils in Höhe von 10 000 Euro mit Gewinnen aus Temin-geschäften oder mit Stillhalterprämien verrechnet werden, wenn nach der unterjährigen Verlustverrechnung ein verrechenbarer Gewinn verbleibt. Die Verluste können nicht mit anderen Kapitalerträgen verrechnet werden. Termingeschäfte sind durch ihre begrenzte Laufzeit und durch Hebeleffekte in wesentlichem Umfang spekulativ. Es können einerseits hohe Gewinne und andererseits der Totalverlust der Anlage eintreten. Diese Effekte treten bei anderen Kapitalanlagen nicht in vergleichbarem Ausmaß auf. Verluste aus Termingeschäften werden deshalb in einem besonderen Verlustverrechnungskreis berücksichtigt, um das Investitionsvolumen und die daraus für Anleger entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen zu begrenzen. Die Berücksichtigung der Verluste wird nicht generell versagt. Die Verlustnutzung wird zeitlich gestreckt und die Verluste werden veranlagungsübergreifend berücksichtigt.“
2.2 Sachverhalt
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG schafft eine Einschränkung der Verlustverrechnung auf 20.000 € für Termingeschäfte (Verluste aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 EStG) und einen neuen Verlustverrechnungskreis für Termingeschäfte und Stillhaltergeschäfte (§ 20 Absatz 1 Nummer 11 EStG).
§ 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 EStG benennt Termingeschäfte, durch die der Steuerpflichtige einen Differenzausgleich oder einen durch den Wert einer veränderlichen Bezugsgröße bestimmten Geldbetrag oder Vorteil erlangt. Der Begriff des Termingeschäfts wurde vom BMF nach der obigen Gesetzesänderung neu definiert und ist im aktuellen BMF-Schreiben vom 19.05.2022 (GZ: IV C 1 - S 2252/19/10003 :009) dargelegt. Er betrifft weiterhin eine Vielzahl von Geschäften, die sich auf zugrunde liegende Basiswerte beziehen. Basiswerte sind im Wesentlichen Aktien, Anleihen, Indizes oder Rohstoffe.
Termingeschäfte bzw. Derivate dienen im Wertpapierhandel der Absicherung und Übertragung von Risiken. Es existieren klassische Derivate (Optionen, Futures usw.) und Retailprodukte (z.B. Optionsscheine, die nicht mehr als Termingeschäft zählen).
Der wesentliche Vorteil von Optionen liegt im auf die Optionsprämie beschränkten Risiko. Optionen und ähnliche Produkte wurden zur Absicherung anderer Positionen geschaffen und haben daher einen Versicherungscharakter. Diese Versicherungsmöglichkeit wird nunmehr für Privatanleger eingeschränkt, da die Höhe der steuerlich verrechenbaren „Versicherungsprämie“ auf 20.000 Euro begrenzt wird. Daraus ergibt sich eine Benachteiligung gegenüber ausländischen oder gewerbsmäßigen Investoren.
Für die Privatanleger entsteht höchstes Risiko und Unsicherheit durch eine unberechenbare Steuerlast, gegen die der Anleger sich nicht absichern kann. Die Begrenzung auf 20.000 Euro motiviert stattdessen den Anleger preiswertere, aber nicht bessere Sicherungsgeschäfte abzuschließen, z.B. durch Put-Optionen, die aus dem Geld liegen.
Gemäß der bisherigen steuerrechtlichen Behandlung und der Grundkonzeption des Einkommensteuergesetzes ergibt sich der steuerrechtliche Gewinn aus der Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben. Die Behandlung von Verlusten als Ausgaben bei Kapitaleinkünften wegen gleichartiger Einnahmen ist folgerichtig.
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG durchbricht für die steuerliche Behandlung der Termingeschäfte obige Definition. Gemäß der Gesetzesbegründung seien Termingeschäfte spekulativer als andere Kapitalerträge und deshalb ein eigener Verlustverrechnungskreis erforderlich, um das Investitionsvolumen und die daraus für Anleger entstehenden Verlustrisiken aus diesen spekulativen Anlagen zu begrenzen. Eine Begründung für die Beschränkung der Verlustverrechnung selbst fehlt. Stattdessen wird nur ausgeführt, dass die Verlustnutzung nicht versagt, sondern zeitlich gestreckt würde.
In einer Stellungnahme des Bundesrats vom 09.10.2020 wird der Vorschlag der Streichung des § 20 Absatz 6 Satz 5 EStG mit einem Verstoß gegen das verfassungsrechtlich maßgebende Nettoprinzip begründet.
2.3 Auswirkungen der Gesetzesänderung
Verluste aus Termingeschäften ergeben sich i.S. der Gesetzesänderung aus der Summe aller negativen Einzeltransaktionen eines Jahres (Bruttoverluste). Es wird also kein Jahresendsaldo begrenzt, sondern der Umsatz aus negativen Transaktionen.
Bei Kunden von deutschen Finanzinstituten wird zukünftig bei der Berechnung der Abgeltungsteuer die unterjährige Gegenrechnung von Verlusten gänzlich entfallen. Sonst wäre eine Gewährleistung der Verlustverrechnungsbeschränkung von 20.000 Euro nicht gegeben, da die Kunden den Betrag mehrfach (bei verschiedenen Finanzinstituten) in Anspruch nehmen könnten. Verluste aus Termingeschäften werden daher überhaupt erst im Rahmen des Veranlagungsverfahrens (bis zu 20.000 Euro) angesetzt werden können. Das bedeutet einen sofortigen, steten und während des Jahres irreversiblen Verlust von Kapital.
Bei Kunden von ausländischen Finanzinstituten entstehen stattdessen steuerbare Scheingewinne und dadurch Steuernachzahlungen in erheblicher Höhe, die ggf. das Vermögen des Anlegers übersteigen.
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG führt tatsächlich zu einer versteckten Transaktionssteuer, ähnlich einer Umsatzsteuer, jedoch ohne Vorsteuerabzug. Die individuelle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen (gemäß Nettogewinn) wird nicht berücksichtigt.
Da die Nutzung des eingeräumten Verlustvortrags unwahrscheinlich ist, da sich die Problematik jedes Jahr wiederholt, führt die Neuregelung letztendlich zu einer dauerhaften Substanzbesteuerung.
3. Verletzung von Grundrechten
3.1 Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG
Durch § 20 Absatz 6 Satz 5 EStG wird das Gleichbehandlungsgrundrecht verletzt. Danach sind willkürliche Differenzierungen verboten, sie sind ohne angemessene Sachgründe nicht erlaubt. Der Gesetzgeber hat hier erschwerender Weise überhaupt keine Begründung für die Beschränkung der Verlustverrechnung vorgelegt, sondern sie nur durch den Hinweis auf den möglichen Verlustvortrag verharmlost.
Gemäß der Vorgabe der horizontalen Steuergerechtigkeit sind Steuerpflichtige mit gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern.
Die vertikale Steuergerechtigkeit fordert, dass die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedrigerer Einkommen angemessen sein muss.
Die Besteuerung muss belastungsgleich sein, jede Ausnahme bedarf eines besonderen sachlichen Grundes. Begünstigungen oder Belastungen sind nur in gewissem Maße erlaubt.
Folgende Beispiele zeigen die enorme Ungleichbehandlung gleichartiger Fälle:
Beispiel 1:
Summe der Gewinn-Transaktionen: 30.000 €
Summe der Verlust-Transaktionen: 20.000 €
Einkommen: 10.000 €
Bemessungsgrundlage: 10.000 €
Einkommensteuer: 2.500 €
Beispiel 2:
Summe der Gewinn-Transaktionen: 100.000 €
Summe der Verlust-Transaktionen: 90.000 €
Einkommen: 10.000 €
Bemessungsgrundlage: 80.000 €
Einkommensteuer: 20.000 €
Trotz des gleichen Einkommens i.H.v. 10.000 € differiert die sich ergebende Einkommensteuer um das Achtfache.
Für das Einkommensteuergesetz liegt die Grenze des Gesetzgebers im Gebot der finanziellen Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit. Ausnahmen von der Folgerichtigkeit für außerfiskalische Förderungs- und Lenkungszwecke und Vereinfachungserfordernisse sind erlaubt, allerdings nicht für rein fiskalische Zwecke.
Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen muss gemäß objektivem und subjektivem Nettoprinzip berücksichtigt werden. Der Einkommensteuer unterliegt nur das Nettoeinkommen (Saldo aus Einnahmen und Ausgaben). Ausnahmen vom Nettoprinzip fordern einen besonderen Grund. Die Bemessungsgrundlage muss sachgerecht und realitätsgerecht sein.
Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zu beachten. Das fordert Rationalität (Eignung und Erforderlichkeit der Beeinträchtigung) und Abgewogenheit.
Der Halbteilungsgrundsatz wird nicht gewahrt. § 20 Absatz 6 Satz 5 EStG definiert einen fiktiven nicht realen Gewinn durch Nichtanerkennung von Ausgaben. Der Steuersatz auf den realen Gewinn übersteigt ggf. deutlich 50%. Der reale Steuersatz kann sogar weit über 100% steigen. Selbst Steuern auf Verluste sind möglich, wie folgendes Beispiel zeigt:
Summe der Gewinn-Transaktionen: 30.000 €
Summe der Verlust-Transaktionen: 40.000 €
Einkommen: -10.000 €
Bemessungsgrundlage: 10.000 €
Einkommensteuer: 2.500 €
Dies führt zu einer ungerechten Besteuerung, da der Steuerpflichtigen durch die Erzielung von Einnahmen ärmer wird. Die Neuregelung führt zu einer vollständigen Sozialisierung des Gewinns und einer Sanktionierung der Einnahmeerzielung. Im Ergebnis kommt es zum Entzug des Kapitals und der Existenzgefährdung des Anlegers.
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG stellt einen Verstoß gegen das Prinzip der Folgerichtigkeit dar. Der Grundsatz der Belastungsgerechtigkeit wird verletzt. Es werden nicht Gewinne, sondern Einnahmen besteuert. Der Umsatz sagt aber nichts zur Leistungsfähigkeit aus, da hohen Einnahmen hohe Ausgaben gegenüberstehen können.
Es besteht die Gefahr der Ausweitung des neuen Prinzips mit allgemeiner Abkehr von der Belastungsgerechtigkeit. Das Einkommensteuergesetz hat nicht die Aufgabe, bestimmte Einkünfte einzuschränken oder Produkte zu verbieten. Würde man das neue Prinzip der Verlustverrechnungsbeschränkung auf eine Ausgabenverrechnungsbeschränkung ausweiten, wäre die Diskriminierung vieler Geschäftsbereiche möglich.
Die Ungleichbehandlung mit Kapitalgesellschaften (z.B. zur GmbH) ist offensichtlich und wird nicht erklärt. Dem Anleger würden zusätzliche Risiken und zusätzliche Kosten einer Kapitalgesellschaft aufgebürdet, um die Anwendung des § 20 Absatz 6 Satz 5 EStG zu umgehen, ohne dass dafür Vorteile ersichtlich sind.
Die feste Grenze von 20.000 € ist willkürlich gewählt und nur auf den Umsatz abgestellt. Der gleiche Nettogewinn kann über verschiedene Wege erreicht werden, höhere Summen mit weniger Risiko werden benachteiligt. Auch die Argumentation, 20.000 € seien ein ausreichend hoher Betrag, schlägt fehl. Ein Einsatz von mehr als 20.000 € bei entsprechenden Gegenschäften kann sicherer sein, als der Einsatz von 10.000 € ohne Gegengeschäft. Hierzu zwei vereinfacht dargestellte Beispiele:
Beispiel 1:
Long Call: 10.000 €
Ausfallrisiko: 10.000 €
Beispiel 2:
Long Call: 30.000 €
Long Put: 25.000 €
Ausfallrisiko (vereinfacht): 5.000 €
Die angebliche Intention des Anlegerschutzes ist durch die steuerlichen Risiken ins Gegenteil verkehrt. Die Einkommensteuer würde in eine Vermögensteuer übergehen, das Angreifen des Kapitalstocks ist ein Eingriff in das Eigentum.
Die Ungleichbehandlung von Einnahmen und Ausgaben ist systemwidrig. Bei steigenden Kursen werden Gewinne als Einnahmen besteuert, bei fallenden Kursen erfolgt keine Berücksichtigung.
Gewinne und Verluste sind ihrem Wesen nach identisch, nicht trennbar. Verluste sind keine unnötigen Luxus-Ausgaben, sondern nötige Kosten.
Der Gewinn des einen Anlegers ist regelmäßig der Verlust des anderen. Ein einheitlicher Erwerbsvorgang wird nunmehr unterschiedlich besteuert, je nachdem, ob es zum Vorteil oder zum Nachteil des Staates ist.
Ggf. wird die Verschuldung des Steuerpflichtigen erzwungen, weil durch Verluste die finanziellen Mittel aufgebraucht werden, aber trotzdem noch Steuer entsteht.
Der Gewinn eines Anlegers ist grundsätzlich die Differenz zwischen eingesetztem und erlöstem Kapital. Hinreichend für eine erfolgreiche Kapitalanlage ist es, dass Gewinne die Verluste übersteigen. Nun sind aber zusätzliche Gewinne nur zur Deckung der zusätzlichen Steuerschuld nötig.
Rechtfertigungsgründe sind wie oben beschrieben nicht vorhanden, im Gegensatz zu anderen Beschränkungen im EStG.
Drohende Aufkommensverluste des Staats wären als Argument nicht stichhaltig. Das Ausweichen des Anlegers durch weniger Handeln ist keine akzeptable Option, eine Einkommenserzielung ohne Verluste ist nicht möglich. Die Höhe von Verluste ist nicht durch den Anleger steuerbar.
Die Begünstigung durch den Abgeltungssteuersatz stellt keine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung dar. Das war seinerzeit die Vorbelastung auf Seiten der Aktiengesellschaft.
Das Argument des Anlegerschutzes greift nicht. Die Nichtanerkennung von Verlusten ist kein Schutz, sondern führt zu höherer Steuer und führt nicht zu positivem Verhalten. Außerdem wird der Vermögensschutz durch Optionen erschwert.
Eine Rechtfertigung aus rein fiskalischen Gründen scheitert an der Güterabwägung.
Für Anleger in Derivaten führt die Neuregelung zur Beendigung ihrer Anlagetätigkeit, zusätzliche Einnahmen für den Staat sind nicht erkennbar. Die Steuereinnahmen werden eher sinken als steigen.
3.2 Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG stellt einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit dar. Die Berufsfreiheit ist für die Ausübung anderer Freiheitsrechte nötig. Sie schützt auch die freie Berufsausübung und freie Berufswahl.
Es reicht dabei das Bestreben, überhaupt Einkünfte zu generieren. Auch die Tätigkeit „Traden“ ist ein verfassungsrechtlich geschützter Beruf. Das Handeln mit Wertpapieren erfolgt dabei dauerhaft und zur Schaffung einer Lebensgrundlage.
Die Neuregelung verbietet den Beruf des Traders nicht direkt, macht aber dessen Ausübung finanziell uninteressant. Es ist keine Absicherung mehr möglich und somit keine vernünftige Balance zwischen Chancen und Risiken.
Die betroffenen Wertpapiere sind nicht durch andere gleichwertige ersetzbar.
Die Streckung der Verluste auf mehrere Jahre hilft hier nicht, sie führt nur zur jährlichen Steigerung des Verlustvortrags.
3.3 Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG führt zu einem Verstoß gegen das Eigentumsgrundrecht. Die Eigentumsgarantie gilt auch für Wertpapiere.
Der Staat erhält Zugriff auf das gesamte Vermögen des Steuerpflichtigen. Die Steuer kann Gewinn und eingesetztes Kapital übersteigen.
Die Grundsätze einer gleichmäßigen und leistungsgerechten Steuer sind nicht gewahrt.
Es besteht die Gefahr der Überschuldung aus rein steuerlichen Gründen.
Die deutschen Finanzinstitute wandten die Neuregelung in 2021 gemäß BMF-Schreiben vom 11.11.2020 noch nicht an. Erst im Rahmen der Einkommensteuerveranlagung für 2021 entstand dadurch ggf. eine erhebliche Nachzahlungspflicht, die das gesamte Vermögen übersteigen konnte. Die Höhe ist nicht abschätzbar, da fiktive Gewinne besteuert werden.
4. Fazit
§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG verletzt den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, da er das Leistungsfähigkeitsprinzip negiert. Die Regelung kann zur Entstehung von Einkommensteuer bei Verlusten, oder Steuersätzen über 50%, gar über 100% führen.
§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG stellt einen Verstoß gegen die Berufsfreiheit dar, weil der Beruf des „Traders“ mit Termingeschäften unter den neuen Umständen nicht mehr wirtschaftlich möglich ist.
§ 20 Absatz 6 Satz 5 EStG führt zu einem Verstoß gegen das Eigentumsgrundrecht, weil die Entstehung von Einkommensteuer bei Verlusten zu einer Vermögensminderung oder gar Vermögensvernichtung führt.
§ 20 Abs. 6 Satz 5 EStG ist daher aufzuheben.