(12.05.2021, 22:10)Golvellius schrieb: Vielleicht kann mich hier jemand erleuchten.
Folgendes habe ich verstanden:Soweit, so gut.
- wenn die Zinsen steigen, dann bekommen ibs. solche Unternehmen Probleme, die sich häufig und viel Geld leihen müssen (z.B. kleinere, wachstumsstarke Unternehmen, die noch keinen Gewinn machen) => Kursrutsch
- wenn die Zinsen steigen, dann werden Staatsanleihen wieder attraktiver (Instis werden ggfs. Aktien abstoßen und in die "sicheren" Anleihen umschichten) => Kursrutsch
Was ist aber, wenn es zur Inflation kommt, und die Zinsen steigen nicht?
Dann ist man doch total angesch***en, wenn man dann auch noch Papiere hält, die ihren Wert direkt vom Euro/Dollar ableiten. Es wäre in dem Fall doch eigentlich gerade besonders geil, wenn man nur Aktien oder andere Sachwerte hält.
Oder ist es zu 100% sicher, dass die Zinsen bei Inflation steigen?
Wie soll das z.B. in Europa gehen?
Ich frage, weil ich es für extrem bescheuert halte, bei einer bevorstehenden Inflation aus den Sachwerten raus- und in die Geldwerte reinzugehen.
Oder übersehe ich etwas?
Inflation und Zins stehen nicht alleine da... für das "ganze Bild" muss man auch alles betrachten....
Hab jetzt aber irgendwie keine Lust das bis ins Detail auszuformulieren - von daher der Versuch das ganze mal abespeckter darzustellen....
EZB/FED -> Aufgabe Währungsstabilität aber auch positiver Einfluss auf die Wirtschaft/das Wachstum
Inflationsziel 2% -> eine moderate Geldentwertung ist gewollt
Zinsen....
niedrige Zinsen -> billiges Geld für Unternehmen, Staaten, Städte, Verbraucher
-> Ziel Konjunktur ankurbeln/Wachstum -> Investitionen in Maschinen, Material, Rohstoffe, Infrakstruktur, Konsum
-> dadurch wird auch die Beschäftigung erhöht (bauen, entwickeln, produzieren, transportieren)
-> mehr Menschen verdienen mehr Geld -> können mehr ausgeben -> erhöhen die Nachfrage -> führt zu mehr Produktion.....
-> jetzt kann es zur Überhitzung kommen -> Nachfrage steigt schneller als das Angebot (weil die Produktion von Waren, Maschinen,
Rohstoffen, Vorprodukten nicht mehr hinterher kommt) -> wenn hohe Nachfrage auf geringes Angebot trifft steigen die Preise -> Inflation
-> wenn gleichzeitig mehr oder weniger Vollbeschäftigung besteht klemmt es bei der Erhöhung des Angebots -> Unternehmen müssen
für Mitarbeiter mehr bezahlen -> diese haben mehr Geld -> mehr Konsum oder z.B. auch Bau/Kauf von Immobilien -> Angebot niedriger
als Nachfrage -> Preise steigen -> Inflation
in Summe -> Überhitzung -> Gefahr das Preise zu schnell zu stark steigen / Geld zu schnell an Wert verliert....
Zinsen werden erhöht -> die Situation soll abgekühlt werden
höhere Zinsen -> Finanzierung von Investitionen, Immobilien, Konsum, Material, Rohstoffe, Maschinen werden teurer
-> Nachfrage sinkt -> Nachfrage gleicht sich dem Angebot an.....
Gefahr -> "harte Landung" -> wenn die Abkühlung/Abbremsung zu stark wirkt -> Angebot übersteigt Nachfrage -> Produktonskapazitäten
müssen abgebaut werden -> Entlassungen -> Konsum geht runter -> Nachfrage sinkt -> Angebot zu hoch -> Abbau von Kapazitäten.....
-> anders gesagt die Spirale dreht sich immer weiter runter....
aktuelle Situation -> Inflation steigt -> das alleine ist für die Zentralbanken kein Grund die Zinsen zu erhöhen
-> es wird das ganze Bild betrachtet -> Beschäftigung/Arbeitslose, Produzentenpreise, Rohstoffpreise, Preisentwicklung von Investitionsgütern, etc. pp.
wie sieht es im Moment aus?
viele haben wegen Corona mit einer stärkeren wirtschaftlichen Abkühlung gerechnet und ihre Kapazitäten heruntergefahren
die Notenbanken und Regierungen haben um einer zu starken Abkühlung entgegen zu wirken den Markt mit Geld geschwemmt
dadurch war die Abkühlung nur ein kurzes abbremsen und dann wieder Gas geben
jetzt hat sich die Nachfrage anders als erwartet in bestimmten Bereichen stark erhöht -> z.B. E-Auto-Produktion, Computer (Homeoffice, Homeschooling)
Kapazitäten wurden abgebaut oder umgestellt, gleichzeitig hat es z.B. bei den Halbleitern Ausfälle gegeben (z.B. Fabriken die wegen Feuer, Erdbeben
ausgefalllen sind)
Kapazitäten müssen wieder umgestellt oder neu aufgebaut werden
-> Nachfrage hoch -> Angebot zu gering -> Preise steigen
Frage die sich jetzt stellt -> ist das eine "normale" Inflation in Folge einer überhitzten oder überhitzenden Konjunktur?
Eher nicht
-> Produktionsdelle wegen Corona-Abbremsung -> das muss aufgeholt werden
-> die Nachfrage nach Waren aus China ist sprunghaft angestiegen
-> Lieferengpässe mangels Transportkapazitäten (fehlende Container in Asien die hier leer herumstehen)
-> fehlende Kapazitäten der beschädigten/zerstörten Fabriken
-> Problem ist das es in vielen Unternehmen nur begrenzte weil zu teure Lagerkapazitäten gibt die nur eine begrenzte Zeit für Nachschub sorgen
können - viele produzieren Just-in-Time -> z.B. auch die Autoindustrie die deswegen Produktion runterfahren musste - > Angebotsverknappung
-> deswegen leergekaufte Gebrauchtwagenhändler -> die haben sich die Hände gerieben weil denen alles aus der Hand gerissen bzw. vom
Hof weggekauft wurde -> konnten deswegen zig Prozent höhere Preise verlangen die bezahlt wurden
usw. usf.
Unterm Strich -> Nein die Zinsen steigen nicht automatisch wegen höherer Inflation
die Zentralbanken (EZB, FED) werden sich auch alles andere anschauen
-> vor allem die Beschäftigung -> deswegen gab es vor kurzen auch Headlines in die Richtung das die Zinserhöhung erstmal vom Tisch
sei weil die Arbeitsmarktdaten schlechter als erwartet waren
Im Moment haben wir keine Inflation aufgrund einer Überhitzung der Konjunktur sondern eine Inflation aufgrund von Produktions- und
Lieferengpässen -> es wird davon ausgegangen das dies nur vorübergehend der Fall ist -> wenn Kapazitäten wieder vorhanden sind und
die Lieferungen wieder rund laufen werden sich auch die Preise wieder normalisieren - Frage ist bis wann das der Fall ist - bis dahin kann es
in bestimmten Bereichen zu erhöhten Preisen kommen
Für die FED/EZB ist aber wichtig wie alles aussieht - z.B. sind die Arbeitsmarktdaten wichtig
Es wäre im Moment eher kontraproduktiv die Zinsen zu erhöhen /Geld/Finanzierung teurer zu machen
weil man dann im Grunde den Motor der durch Corona abgewürgt wurde und der noch nicht wieder
richtig rund läuft einfach wieder abwürgen würde
Die Techs sind gut gelaufen - Gewinne werden mitgenommen
Warum haben Anleger gerade da Angst vor Zinserhöhungen?
Zinserhöhungen -> Abbremsen, Abkühlen der Konjunktur -> Nachfrage sinkt -> Beschäftigung sinkt -> weniger Geld für Konsum
-> Essen, Trinken, etc. pp. wird wichtiger als z.B. ein neues Handy -> Nachfrage sinkt -> Preise sinken -> Kosten steigen (durch Zinsen)
oder Kosten bleiben (Kapazitäten kosten Geld) -> Gewinne sinken -> Aktienkurse nehmen die zukünftige Entwicklung vorweg und
könnten deswegen einbrechen....
Im Moment ist es ein sehr schmaler Grat auf dem sich die Zentralbanken bewegen - Zinserhöhungen in dieser Situation könnten
pures Gift sein weil es eigentlich nichts zum abkühlen gibt - da würde man Gefahr laufen den Motor wieder ins stocken zu bringen....
Von daher könnte es gut sein das die Zentralbanken eine höhere Inflation akzeptieren bis sich die Situation bei Produktions- und Lieferketten
wieder entspannt und dann auch die Preise wieder sinken dürften....
Alles in allem sehr abgespeckte Darstellung und nur ein paar wenige Beispiele herausgenommen - es ist sehr viel komplexer
und geht seitens der Zentralbanken sehr viel weiter als "nur" Inflation und Zins zu betrachten...
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