(20.01.2023, 22:27)Vahana schrieb: Wie bestellt
Das stimmt aber nicht was Herr Ganser sagt. Ab Mintute ~5:50 bezieht er sich auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Zitiert wird eine Passage (Min 6:53):
Im Gutachten vom 16.März 2022 aus Seite 6 heisst es:
Zitat:Gilt es also, der Verletzung des Gewaltverbotes (Art. 2 Ziff. 4 VN-Charta) durch einen Aggressor-
Staat als Staatengemeinschaft entgegen zu treten,7 ist heute kein Staat mehr zur „Neutralität“ ge-
genüber den Konfliktparteien verpflichtet. Jeder Staat kann und darf den angegriffenen Staat un-
terstützen, ohne dabei selbst Konfliktpartei werden zu müssen; dabei nimmt der unterstützende
Staat eine nicht-neutrale, gleichwohl aber am Konflikt unbeteiligte Rolle ein.8 Diese Rolle (non-
belligerency) ist zu unterscheiden von der kollektiven Selbstverteidigung/Nothilfe gem. Art. 51
VN-Charta. Auch hier wird dem angegriffenen Staat militärische Hilfe geleistet – aber als Kon-
fliktpartei.
Bei Unterstützungsleistungen auf der Grundlage von non-belligerency bleibt der Umfang von
Waffenlieferungen,9 aber auch die Frage, ob es sich dabei um „offensive“ oder „defensive“
Waffen handelt, rechtlich unerheblich.10 Erst wenn neben der Belieferung mit Waffen auch die
Einweisung der Konfliktpartei bzw. Ausbildung an solchen Waffen in Rede stünde, würde man
den gesicherten Bereich der Nichtkriegsführung verlassen.
https://www.bundestag.de/resource/blob/8...f-data.pdf
Dann ab Min 7:20 behauptet er, der Wissenschaftliche Dienst würde sagen, wenn man eine Konfliktpartei ausbildet, dann sei man ganz klar Kriegspartei.
Das stimmt nicht. Es heisst, man verlässt den rechtlich gesicherten Bereich. Nicht dass man ganz klar Kriegspartei ist, sondern dass man es nicht ist, ist nicht mehr klar definiert.
Auf Seite 5 heisst es:
Zitat:Als völkerrechtlich gesichert kann gelten, dass die militärische Unterstützung einer bestimmten
Konfliktpartei in Form von Waffenlieferungen, einer Zurverfügungstellung von militärischer
Ausrüstung o.ä. noch nicht die Grenze zur Konfliktteilnahme überschreitet.3 Die Frage, wie eine
militärische Unterstützung von Konfliktparteien durch Waffenlieferungen mit dem traditionellen
Neutralitätsgebot (niedergelegt in der V. Haager Konvention von 1907)4 zu vereinbaren ist, darf
weitgehend als entschieden angesehen werden.5 Das Neutralitätsrecht wird durch das allgemeine
Gewaltverbot und das System der kollektiven Sicherheit, welches die VN-Charta in Kapitel VII
geschaffen hat, gewissermaßen überlagert. An die Stelle der Neutralität trat ein neuer Rechtssta-
tus der Nichtkriegführung („non-belligerency“). Zur historischen Entwicklung und dogmatischen
Herleitung der Rechtsstellung der „Nichtkriegführung“ führt der Bonner Völkerrechtler Stefan
Talmon aus:
„Im Jahr 1934 stellte die Vereinigung für Internationales Recht in ihrer Budapester Erklärung zur
Interpretation des Kriegsächtungspakts [sog. Briand-Kellogg-Pakt vom 27. August 1928, der heute
immer noch gültig ist und 63 Staaten, darunter Deutschland und Russland bindet] fest, dass die
anderen Vertragsparteien es im Falle einer Verletzung des Paktes ablehnen dürfen, dem Aggressor
gegenüber die Pflichten der Neutralität zu erfüllen. Damit war der Weg frei für die finanzielle oder
materielle Unterstützung des angegriffenen Staates – einschließlich mit Kriegsmaterial. Die dahin-
ter stehende Idee war, dass alle Vertragsparteien ein Interesse an der Sanktionierung des Aggressors
hatten. An die Stelle der Neutralität trat der neue Status der Nichtkriegführung („non-
belligerency“). Entgegen einer weit verbreiteten Ansicht in der Literatur handelt es sich bei der
Nichtkriegführung nicht um eine Zwischenstufe zwischen Neutralität und Kriegszustand, sondern
um eine die Neutralität ersetzende Rechtsstellung.
Der Begriff der „Nichtkriegführung“ bzw. des „Nicht-Kriegführenden“ war auf der 38. Tagung der
Vereinigung für Internationales Recht im September 1934 in Budapest vom schwedischen Völker-
rechtler und späteren Richter des Ständigen Internationalen Gerichtshofs Åke Hammarskjöld in
Abgrenzung zum klassischen Begriff der Neutralität gewählt worden, um die Rechtsstellung der
Vertragsparteien des Kriegsächtungspaktes zu beschreiben, die sich gegen den Aggressor stellen,
ohne selbst aktiv an den Kampfhandlungen teilzunehmen. Obwohl die Budapester Interpretations-
erklärung des Kriegsächtungspakts vor allem in der Völkerrechtswissenschaft nicht unumstritten
war, wurde sie in den Folgejahren von mehreren Staaten aufgegriffen. Bereits im April 1935 berief
sich der ehemalige US-Außenminister Henry L. Stimson in einer Rede vor der amerikanischen Ge-
sellschaft für Völkerrecht auf die Budapester Interpretationserklärung, als er erklärte, dass ein Ver-
stoß gegen den Kriegsächtungspakt ein Völkerrechtsverstoß gegen alle Vertragsparteien darstelle
und diese dazu berechtige, dem Aggressor die klassischen Rechte der Neutralität zu versagen.“
Also die Rechtsstellung ist, Nichtkriegsführend anstelle von Neutralität. Bleibt eben die Ausbildung. Damit verlässt man den fest vereinbarten Rechtsraum. Vielleicht liegt das auch daran, dass das 1934 noch kein Thema war. Würde man heute vereinbaren: "Ihr dürft hochkomplizierte Waffen liefern, aber ihr dürft der Kriegspartei nicht verraten wie sie benutzt werden." Würde man sich schon ob einer unsinnigen Vereinbarung am Kopf kratzen.
Jedenfalls ist es eben gerade nicht "ganz klar".
__________________
Kinder wollen nicht wie Fässer gefüllt, sondern wie Fackeln entzündet werden.