Nach dem
Aschermittwoch schauen wir uns heute wieder mal Professor Rieck an.
Ich muss den Herrn Professor Rieck in einem Punkt widersprechen, wenn er sagt, wie "haben uns dazu entschieden, dass wir Russian Today abklemmen" (
1:05). Dies entspricht nicht den Tatsachen.
Weder haben "wir" uns dazu entschieden, noch wurde es offiziell abgeklemmt. Vielmehr hat man aus offensichtlich politischen Gründen, das sage ich ganz wertfrei, dazu entschlossen, RT aufgrund einer Formalität die Sendeerlaubnis zu entziehen.
Außerdem halte ich die Vorstellung, dass es keine russische Propaganda gegeben hätte, wenn noch RT da gewesen wäre (
2:01) für naiv.
Selbstverständlich hätte die russische Regierung auch Propaganda über soziale Medien und dergleichen gemacht, wenn RT noch frei empfangbar wäre und selbstverständlich hätte man dabei auch Informationen verbreitet, deren Urheber nicht klar gekennzeichnet würde.
Der Hinweis auf die "Selbstheilungskräfte" der Zuschauer (
2:18) ist dagegen meines Erachtens durchaus berechtigt. Einer Zensur liegt zumeist die Vorstellung zugrunde, dass das Zielpublikum die Informationen nicht richtig einordnen kann. Das impliziert aber, dass die Zensoren es besser können als das Publikum, was eine Ungleichheit bedeutet. Diese Ungleichheit ist mit der Demokratie an sich schwer vereinbar.
Was das sog. "aggressive Fragen" angeht (
4:57), so ist das eigentlich nicht der Sinn und Zweck eines Interviews im klassische Sinne. So jedenfalls mein Kenntnisstand. Der Interviewer soll den Interviewten eigentlich interessante Aussagen entlocken, ihn vielleicht mit Fragen konfrontieren, die man ihn selbst nicht stellen würde.
Ein Interview ist kein Dialog und keine Diskussionsveranstaltung.
Es gibt meines Wissens im Journalismus einen längeren Streit darüber, ob man mit Interviews oder Reportagen mit "bösen Mächten" führen sollte oder nicht. Einer der Streitpunkte dabei ist eben, ob man damit den "Bösewichten" nicht einfach eine Plattform für Propaganda bietet, egal wie kritisch oder neutral man sein will. Dies wird von Rieck offenbar einfach bejaht (
5:47). Es ist natürlich naiv anzunehmen, dass jemand wie Putin seine wahren Motive und Absichten einfach so offenlegt.
Das Argument (
6:33), dass ein Mangel an Rückfragen, Nachdenkzeit oder Verständnisprobleme auf mangelnde Spontanität hinweist, scheint mir sehr stichhaltig.
Thema Nordstream (
9:59) lässt es sich ziemlich einfach sagen: Wir wissen nichts genaues. Alle möglichen Antworten auf die Frage, wer die Pipeline gesprengt hat, sind Spekulationen. Und zudem häufig genug politisch motiviert.
Ich denke, bei der Beurteilung über die Ausführungen über russische Geschichte (
12:09) begeht Rieck ebenfalls eine Fehleinschätzung. Es ist richtig, dass aus Sicht der meisten gebildeten Westler die Idee, irgendwelche territorialen Ansprüche aus der Geschichte abzuleiten, absurd erscheint.
Das ist aber keineswegs so selbstverständlich "weltfremd", wie Rieck und viele andere vielleicht denken. Auch hier im Westen war so eine Denkweise für lange Zeit recht verbreitet und, offen gesagt, existiert sie doch immer noch.
Um ein möglichst unkontroverses Beispiel zu nehmen, erinnere ich nur an Gibraltar, was zugleich von Spanien und dem Vereinigten Königreich beansprucht wird. Wir reden im Fall von Gibraltar von irgendwelchen Verträgen und Ereignissen, die zu Anfang des 18. Jahrhunderts spielten. Das muss man erst Mal sacken lassen, 200 Jahre.
Das ist nicht das extremste Beispiel für Fälle, in denen territoriale Ansprüche historisch hergeleitet werden.
Wenn Putin also Ansprüche historisch ableiten will, mag das für uns absurd und weltfremd erscheinen, aber diese Aussagen sind durchaus ernst zu nehmen und haben auf "das einfache Volk" eventuell auch größeren Einfluss.
Die "Madman-Theorie" (
13:51) gibt es wirklich, sich jetzt aber "ganz sicher" zu sein (
16:09), dass Putin sie im Carlson-Interview angewandt hat, halte ich für logisch unbegründet. Wohlgemerkt, ich sage nicht, was wirklich der Fall ist, sondern nur was wir ausgehend von unseren Informationen eigentlich sagen können oder eben auch nicht.
Die folgende Stelle ist großartig (
16:55). Man muss auch ein wenig Mathematiker sein, um die Aussage würden zu könenn, dass man Irrationalität damit am glaubwürdigsten darstellt, dass man einfach wirklich irrational ist.
Schönes Schlusswort (
20:09) für mich: "Es kann alles stimmen, muss aber nicht".
Genau das ist das Problem mit Lügen im Allgemeinen. Der Lügner wird nicht 100% die Unwahrhheit sagen. Er wird Wahrheit und Lüge mischen und dabei möglichst so wichtige Informationen rausgeben, dass man zuhören will.
Eine Frage wurde leider überhaupt nicht behandelt:
Wann macht es spieltheoretisch Sinn, sich solche möglicherweise bewusst irreführenden Informationen einzuverleiben und dann nicht?