ACHTUNG:Die Thematik des Artikels und der Inhalt des Videos könnte für einige Zuschauer Reizthemen enthalten.
Heute wieder mal ein Video:
Diesmal geht es um das Thema "Freie Privatstädte".
Dies vorab, auch ich finde die Idee der Privatstädte in einigen Ausformulierungen nicht plausibel.
Zunächst einmal beginnt die gesamte Argumentation schon mit einem Fehler. Dass man für öffentliche Toiletten Geld zahlen muss, dafür gibt es gute Gründe. Das war schon im römischen Altertum bekannt.
Die Argumentation, man würde den betreffenden Staaten, die Gebiete für freie Privatstädte zur Verfügung stellen, ihrer Souveränität berauben, halte ich für unschlüssig. Wo liegt denn die Souveränität eines Bürgers, der in einer Diktatur von korrupten Eliten lebt?
Selbst auf Ebene der Staaten ist es mit der Souveränität nicht weit her. Beispielsweise herrschte in Deutschland bis vor einigen Jahrzehnten noch das Zündwarenmonpol, das aus der wirtschaftlichen Schwäche Deutschlands nach dem 1. Weltkrieg resultierte. Man würde aber im Allgemeinen nicht argumentieren, dass Deutschland damals nicht souverän war.
Von solchen Dingen wie der Abgabe von Rechten an Institutionen wie der EU mal ganz zu schweigen.
Die Verbindung zum Kolonialismus ist leider nicht völlig von der Hand zu weisen und wohl ein relativ starkes Argument. Allerdings übersehen die beiden Dialogpartner leider etwas Wesentliches. Der Grund, warum viele Anhänger der Idee von "freien Privatstädten" ihre Utopien ausgerechnet in Ländern der dritten Welt verwirklichen wollen ist rein pragmatischer Natur.
Es ist eine durchaus realistische Erwartung, dass die Einrichtung einer Sonderwirtschafts- oder -verwaltungszone innerhalb der Europäischen Union oder den Vereinigten Staaten von Amerika praktisch ausgeschlossen ist.
Zudem ignorieren die beiden Dialogpartner, dass China nach dem Vorbild Hong Kongs eine ganze Reihe von Sonderzonen eingerichtet hat, eben weil der Erfolg des Modells überzeugte, auch Saudi-Arabien plant mit Neom selbst die Errichtung einer Art Sonderzone und selbst Deutschland soll nach der Wende die Idee zumindest diskutiert haben. Diese Länder kolonialisieren sich ja nicht selbst.
Der Befürchtung, dass das Kapital durch diese Privatstädte erst recht aus den armen Ländern gezogen wird, steht aber die Hoffnung entgegen, dass diese Privatstädte um sich herum einen Speckgürtel bilden, wie man das ja innerhalb Deutschlands, hier etwa im Umfeld von Hamburg oder Berlin, oder international sehen kann. Zu dem Thema habe ich auch schon mal was geschrieben.
Dass ein Investor sich von Enteignungsdiskursen eher abgeschreckt fühlt, dürfte niemanden überraschen.
Der Hinweis, dass es keine "Freiheit" sei, weil man ja aufgrund von ökonomischen Sachzwängen genötigt wird in die Privaten Städte zu ziehen, geht, freundlich interpretiert, schon in Richtung Philosophie.
Ja, was verstehen wir denn unter "Freiheit"? Wird es nicht immer irgendwelche Umstände geben, die unsere Wahl einschränken?
Die ökonomischen Notwendigkeiten in einer arbeitsteiligen, bevölkerungsreichen Gesellschaft sind nun mal da. Auch eine hypothetische sozialistische Utopie müsste irgendwie mit ihnen umgehen. Die realen Versuche des Sozialismus haben das übrigens auch getan und daher solche Dinge wie Arbeitspflicht und ähnliches eingeführt.
Die beiden Dialogpartner machen sich zurecht lustig über einige, wie ich finde, extreme Aussagen von Theoretikern von Freien Privatstädten. Hier werden wirklich ethische Standards als Schranken erlebt, was aber für anarchistisch-antiautoritäre Standpunkte eher typisch ist. Das ist nicht auf "Libertäre" beschränkt.
In der Praxis existiert das Problem nicht so stark. Meinem Kenntnisstand ist es so, dass auch die "Landgeber"-Länder der Freien Privatstädte in die Verträge zumeist Klauseln einbauen, nach denen beispielsweise Mord durch Ermittlungsbehörden verfolgt und bestraft werden muss und so weiter. Dazu sind diese Staaten meines Wissens auch durch internationales Recht verpflichtet. Ganz rechtsfreie Räume sind die Privatstädte nicht und sollen nach dem Willen ihrer Urheber auch nicht sein.
Zu 32:29: Im Gegensatz zu unseren Videoerstellern sehe ich das nicht so pessimistisch. Eine solche Gesellschaft auf Vertragsbasis kann sehr wohl funktionieren. Problematisch wird es erst, wenn die ersten Leute dazukommen, die den Vertrag nicht mehr freiwillig unterschreiben konnten.
Beispielsweise Kinder, die in den Privatstädten geboren wurden oder von den Eltern mitgenommen werden. Solange die Gesellschaft nur auf Leuten aufbaut, die sich irgendwann freiwillig zur Migration in die freie Privatstadte entschieden haben, ist der Vertrag wahrscheinlich eine Grundlage, auf die sich alle berufen können und der soziale Konflikte letztentscheidet. Sobald aber erhebliche Gruppen der Bevölkerung in die Privatstadt mussten, wird es keinen Grund mehr geben, sich auf den Vertrag als gemeinsame Grundlage zu einigen. Also die selben Probleme, die jede normale Gesellschaft auch hat.
Warum sollte sich jemand, der in dieser Stadt geboren wurde und dort gut vernetzt ist, nicht gegen einen "Rauswurf" zur Wehr setzen, weil er die Gebühr nicht bezahlt hat?
Dem Schlusswort dagegen kann ich mich durchaus anschließen. Aus Sicht des Individuums ist es egal, ob die Bürokratie von privaten Unternehmen oder vom Staat ausgeht.
Fazit: In diesem Beitrag wurde die Idee der Freien Privatstädte in einem sehr sarkastischen Ton besprochen und polemisch mit vielen Seitenhieben auch auf andere "Neoliberale" auf die Schippen genommen.
Man bleibt mit den Gefühl zurück, dass das eine Art Verschwörung böser Reicher ist, die die letzten gesetzlichen Schranken überwinden wollen.
Das Beispiel Hong Kong wurde nur kurz sarkastisch kommentiert, solche Dinge wie die antiken Polis oder die Freien Reichsstädte des Mittelalters wurden nicht mal erwähnt.
Also insgesamt leider ein aus meiner Sicht einseitiger Meinungsbeitrag mit wenigen nützlichen Informationen.
Danke fürs Lesen. Wie immer alles private Meinung, keine Beratung.