Heute mal was zu Lippenbekenntnissen und dem inneren Schweinehund
| 02.06.2022, 18:51 (Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 02.06.2022, 19:02 von Skeptiker. Bearbeitungsgrund: FORMATIERUNG )
Wie immer gilt: "Dieser Beitrag stellt ausschließlich eine persönliche Meinung dar. Er erhebt weder Anspruch auf vollständige Richtigkeit, noch sollte jemand seine Inhalte ungeprüft übernehmen."
Dieses Mal geht es mir um das Thema "Heute mal was zu Lippenbekenntnissen und dem inneren Schweinehund".
Wir starten diesmal mit einem Gedankenspiel. Nehmen wir mal an, wir fertigen eine Umfrage an. Wir fragen eine Gruppe von Menschen nach ihrer Meinung zu einem bestimmten Thema.
Daraufhin beobachten wir diese Menschen und erkennen, dass sie so handeln als hätten sie die angegebenen Meinungen nicht. Sie tun also Dinge, die ihren angeblichen Überzeugungen widersprechen.
Wie gehen wir mit dieser Situation um?
Wie ich annehmen ist unsere erste, naive Reaktion bei davon auszugehen, die Leute hätten eben in der Umfrage gelogen. Das Gewicht der Handlungen sticht eine Umfrage locker aus.
Was passiert aber, wenn Menschen in verschiedenen Umfragen und mündlichen Äußerungen immer wieder eine Meinung bekunden, aber dennoch einfach gegen diese Meinung handeln?
Ich spreche jetzt nicht von Fällen, in denen die Menschen dazu gezwungen werden wider ihre Überzeugungen zu handeln.
In neuerer Zeit ist diese grundsätzliche Frage aufgrund einer politischen Argumentation wieder aktuell geworden.
Beispielsweise wird in dieser auf Umfragen hingewiesen, demnach die meisten Leute klimafreundlicher leben wollen, indem sie sich vornehmen weniger Flugreisen zu unternehmen und Fleisch zu essen. Doch schon in der nächsten konkreten Entscheidungssituation im Supermarkt scheinen diese Vorsätze vergessen.
Daraus schlussfolgern bestimmte politische Strömungen, dass die Leute ja eigentlich den Wunsch hegen, den bekundeten Vorsätzen treu zu bleiben, aber ihr "innerer Schweinehund" sie daran hindere. Man tut den Leuten sozusagen einen Gefallen damit, sie durch Verbote, Steuern und Subventionen dazu zu bringen sich ihrer geäußerten Meinung gemäß zu verhalten.
Seltener dagegen die Gegenposition bezogen, der zufolge es sich nur um Lippenbekenntnisse handelt.
Ich versuche hier mal so gut es irgendwie geht eine Positionierung in diesen ideologischen Streit zu vermeiden und will das Problem theoretisch betrachten. Vielleicht finden wir dabei eine Antwort, vielleicht verstehen wir danach einfach das Problem ein bisschen besser. In jedem Fall haben wir was zu lachen.
Es scheint mir so, dass es für die Lösung unseres Problems vier denkbare Szenarien gibt:
Zu unser Diskussion sind damit zwei Optionen dazugekommen, die schon auf den ersten Blick absurd wirken.
Beginnen wir mit (1): Hier bemerken wir die Absurdität unmittelbar. Wenn weder was die Person sagt, noch was diese tut irgendwas mit ihrer wirklichen Überzeugung zu tun hat, woran soll man als Außenstehender diese überhaupt noch erkennen? Machen wir die wahren oder wirklichen Überzeugungen nicht zu etwas nicht mehr kommunizierbaren?
Aus einer reinen Verneinung folgt selbstverständlich zunächst nichts. Dennoch kann es verschiedene Erklärungen für diese Position geben.
Ich erinnere den Leser daran, dass in diese Kategorie auch Denker fallen würden, die die Idee einer "wahren oder wirklichen Überzeugung" per se ablehnen. Erfolge dies auch aus tiefenpsychologischen oder epistemologischen Gründen.
Man könnte auch behaupten, dass ein Mensch seine wahren Überzeugungen überhaupt erst kennenlernt. Wir alle haben ja zeitweise das Gefühl, entgegen unserer eigentlichen Ansichten zu handeln und zu reden. Die Position (1) nimmt dieses Gefühl einfach nur ernst.
Auch wäre als Erklärung trivialerweise möglich, dass die Person eine Meinung hat, die sowohl die Handlungen als auch die Äußerungen rechtfertigt. Dessen müsste sich die Person vielleicht selbst gar nicht bewusst sein.
Ebenfalls wäre es möglich, dass die verbale Bekundungen und Handlungen gar nicht so eng zusammengehören, wie wir im Alltag vielleicht annehmen.
Betrachten wir jetzt die nächste absurde Option, (4). Diese Position scheint sogar noch absurder. Wie kann es sein, dass jemand z. B. gleichzeitig das Klima retten und sich so verhalten will, dass er das Klima zerstört. Das widerspricht sich und Widersprüche sollen vermieden werden.
Wir erheben für klares Denken die Forderung, sich nicht selbst zu widersprechen. Doch wieso sollten Forderungen an unser Denken nicht ebenso unerfüllt bleiben können wie ethische Forderungen?
Tatsächlich scheint mir das sogar das Menschenbild zu sein, welches traditionell vertreten wurde. Der Mensch als Wesen mit widersprüchlichen Tendenzen.
Wir kennen alle das Beispiel des Satzes "dieses eine Mal wird schon keinen Unterschied machen" und doch kommt es darauf an, ob man gewohnheitsmäßig das tut, was man als richtig betrachtet oder nicht.
Wenden wir uns jetzt den beiden "klassischen" Fällen zu.
Der Punkt 2, dass es doch auf die Aussagen ankommt, ist sicherlich in unserer Kultur am Meisten verbreitet. Es überrascht nicht, dass Fachleute, welche sich professionell mit Worten beschäftigen wie es die meisten Intellektuellen tun, den Worten auch den Vorzug geben. Das muss gar keine bewusste Voreingenommenheit sein, sondern ergibt sich einfach mit der Zeit.
Ein weiterer Faktor ist, dass die meisten großen monotheistischen Religionen ebenfalls einen großen Wert auf das Bekenntnis legen. Das Verhältnis zwischen Bekenntnis, genauer gesagt den richtigen Glauben, und Ethik, also den richtigen Handeln, unterscheidet sich zwar je nach Konfession und Theologie. Dennoch scheint so eine Grundhaltung natürlich auch in unsere Debatte durch.
Nachdem wir uns dieser Gefahr bewusst wurden, müssen wir aber auch die Vorzüge dieses Punktes sehen. Nur verbal kann man die Gründe für sein Handeln nennen, während die Schlussfolgerung der Meinung einer Person aus seinen Handeln letztlich eine Sache der Interpretation bleibt.
Zudem Personen ihr Handeln ja auch vor sich selbst Rechtfertigen, indem sie etwa sagen "ich kaufe jetzt das, weil ich jenes erreichen will".
Der letzte Punkt, den wir betrachten müssen, ist Nummer 3. Meines Wissens wird diese Position vor allen Dingen von Ökonomen eingenommen. Durch das Preissignal von Angebot und Nachfrage zeigen wir, welche Präferenzen wir wirklich bezüglich des Werts bestimmter Dinge haben. Ist uns dabei günstiges Fleisch wichtiger als erhalt des Planeten, zeigen wir das an der Supermarktkasse.
Der Widerspruch zwischen den Handlungen und den Äußerungen kann sehr leicht erklärt werden, indem man einige Zusatzannahmen macht. Der Teilnehmer der Umfrage sagt nur das, was von ihn gesellschaftlich erwartet wird oder eben was er denkt, dass der Interviewer von ihn hören will. Anders zu reden statt zu handeln mag moralisch fragwürdig sein, ist aber auch eine Art "evolutionärer Vorteil" für denjenigen, der es praktiziert. Es wäre also sehr wohl zu erwarten, dass dieses Verhalten sich grundsätzlich durchsetzt.
Das Problem der dritten Position ist folglich nicht allein die Plausibilität, sondern auch das kulturell bedingte Vorurteil gegen diese.
Der Leser soll sich nun selbst ein Urteil bilden, was er denkt.
Kritik und andere Meinungen sind willkommen.
Siehe auch:
Marcus du Sautoy und die Grenzen der Erkenntnis vom 09.07.2021
Psychologie: Reproduktionskrise vom 02.02.2022
Dieses Mal geht es mir um das Thema "Heute mal was zu Lippenbekenntnissen und dem inneren Schweinehund".
Wir starten diesmal mit einem Gedankenspiel. Nehmen wir mal an, wir fertigen eine Umfrage an. Wir fragen eine Gruppe von Menschen nach ihrer Meinung zu einem bestimmten Thema.
Daraufhin beobachten wir diese Menschen und erkennen, dass sie so handeln als hätten sie die angegebenen Meinungen nicht. Sie tun also Dinge, die ihren angeblichen Überzeugungen widersprechen.
Wie gehen wir mit dieser Situation um?
Wie ich annehmen ist unsere erste, naive Reaktion bei davon auszugehen, die Leute hätten eben in der Umfrage gelogen. Das Gewicht der Handlungen sticht eine Umfrage locker aus.
Was passiert aber, wenn Menschen in verschiedenen Umfragen und mündlichen Äußerungen immer wieder eine Meinung bekunden, aber dennoch einfach gegen diese Meinung handeln?
Ich spreche jetzt nicht von Fällen, in denen die Menschen dazu gezwungen werden wider ihre Überzeugungen zu handeln.
In neuerer Zeit ist diese grundsätzliche Frage aufgrund einer politischen Argumentation wieder aktuell geworden.
Beispielsweise wird in dieser auf Umfragen hingewiesen, demnach die meisten Leute klimafreundlicher leben wollen, indem sie sich vornehmen weniger Flugreisen zu unternehmen und Fleisch zu essen. Doch schon in der nächsten konkreten Entscheidungssituation im Supermarkt scheinen diese Vorsätze vergessen.
Daraus schlussfolgern bestimmte politische Strömungen, dass die Leute ja eigentlich den Wunsch hegen, den bekundeten Vorsätzen treu zu bleiben, aber ihr "innerer Schweinehund" sie daran hindere. Man tut den Leuten sozusagen einen Gefallen damit, sie durch Verbote, Steuern und Subventionen dazu zu bringen sich ihrer geäußerten Meinung gemäß zu verhalten.
Seltener dagegen die Gegenposition bezogen, der zufolge es sich nur um Lippenbekenntnisse handelt.
Ich versuche hier mal so gut es irgendwie geht eine Positionierung in diesen ideologischen Streit zu vermeiden und will das Problem theoretisch betrachten. Vielleicht finden wir dabei eine Antwort, vielleicht verstehen wir danach einfach das Problem ein bisschen besser. In jedem Fall haben wir was zu lachen.
Es scheint mir so, dass es für die Lösung unseres Problems vier denkbare Szenarien gibt:
- Weder die Handlung, noch die Meinungsäußerung spiegeln die realen Überzeugungen einer Person wider.
- Die Meinungsäußerung, also das verbale Bekenntnis, stellt die wirkliche Überzeugung einer Person dar. Die Handlungen dagegen gelten nicht.
- Allein die Handlung zeigt die wahre Überzeugung einer Person. Umgekehrt gelten die Äußerungen nicht.
- Sowohl die Handlung als auch die Meinungsäußerung zeigen die wahre Überzeugung einer Person.
Zu unser Diskussion sind damit zwei Optionen dazugekommen, die schon auf den ersten Blick absurd wirken.
Beginnen wir mit (1): Hier bemerken wir die Absurdität unmittelbar. Wenn weder was die Person sagt, noch was diese tut irgendwas mit ihrer wirklichen Überzeugung zu tun hat, woran soll man als Außenstehender diese überhaupt noch erkennen? Machen wir die wahren oder wirklichen Überzeugungen nicht zu etwas nicht mehr kommunizierbaren?
Aus einer reinen Verneinung folgt selbstverständlich zunächst nichts. Dennoch kann es verschiedene Erklärungen für diese Position geben.
Ich erinnere den Leser daran, dass in diese Kategorie auch Denker fallen würden, die die Idee einer "wahren oder wirklichen Überzeugung" per se ablehnen. Erfolge dies auch aus tiefenpsychologischen oder epistemologischen Gründen.
Man könnte auch behaupten, dass ein Mensch seine wahren Überzeugungen überhaupt erst kennenlernt. Wir alle haben ja zeitweise das Gefühl, entgegen unserer eigentlichen Ansichten zu handeln und zu reden. Die Position (1) nimmt dieses Gefühl einfach nur ernst.
Auch wäre als Erklärung trivialerweise möglich, dass die Person eine Meinung hat, die sowohl die Handlungen als auch die Äußerungen rechtfertigt. Dessen müsste sich die Person vielleicht selbst gar nicht bewusst sein.
Ebenfalls wäre es möglich, dass die verbale Bekundungen und Handlungen gar nicht so eng zusammengehören, wie wir im Alltag vielleicht annehmen.
Betrachten wir jetzt die nächste absurde Option, (4). Diese Position scheint sogar noch absurder. Wie kann es sein, dass jemand z. B. gleichzeitig das Klima retten und sich so verhalten will, dass er das Klima zerstört. Das widerspricht sich und Widersprüche sollen vermieden werden.
Wir erheben für klares Denken die Forderung, sich nicht selbst zu widersprechen. Doch wieso sollten Forderungen an unser Denken nicht ebenso unerfüllt bleiben können wie ethische Forderungen?
Tatsächlich scheint mir das sogar das Menschenbild zu sein, welches traditionell vertreten wurde. Der Mensch als Wesen mit widersprüchlichen Tendenzen.
Wir kennen alle das Beispiel des Satzes "dieses eine Mal wird schon keinen Unterschied machen" und doch kommt es darauf an, ob man gewohnheitsmäßig das tut, was man als richtig betrachtet oder nicht.
Wenden wir uns jetzt den beiden "klassischen" Fällen zu.
Der Punkt 2, dass es doch auf die Aussagen ankommt, ist sicherlich in unserer Kultur am Meisten verbreitet. Es überrascht nicht, dass Fachleute, welche sich professionell mit Worten beschäftigen wie es die meisten Intellektuellen tun, den Worten auch den Vorzug geben. Das muss gar keine bewusste Voreingenommenheit sein, sondern ergibt sich einfach mit der Zeit.
Ein weiterer Faktor ist, dass die meisten großen monotheistischen Religionen ebenfalls einen großen Wert auf das Bekenntnis legen. Das Verhältnis zwischen Bekenntnis, genauer gesagt den richtigen Glauben, und Ethik, also den richtigen Handeln, unterscheidet sich zwar je nach Konfession und Theologie. Dennoch scheint so eine Grundhaltung natürlich auch in unsere Debatte durch.
Nachdem wir uns dieser Gefahr bewusst wurden, müssen wir aber auch die Vorzüge dieses Punktes sehen. Nur verbal kann man die Gründe für sein Handeln nennen, während die Schlussfolgerung der Meinung einer Person aus seinen Handeln letztlich eine Sache der Interpretation bleibt.
Zudem Personen ihr Handeln ja auch vor sich selbst Rechtfertigen, indem sie etwa sagen "ich kaufe jetzt das, weil ich jenes erreichen will".
Der letzte Punkt, den wir betrachten müssen, ist Nummer 3. Meines Wissens wird diese Position vor allen Dingen von Ökonomen eingenommen. Durch das Preissignal von Angebot und Nachfrage zeigen wir, welche Präferenzen wir wirklich bezüglich des Werts bestimmter Dinge haben. Ist uns dabei günstiges Fleisch wichtiger als erhalt des Planeten, zeigen wir das an der Supermarktkasse.
Der Widerspruch zwischen den Handlungen und den Äußerungen kann sehr leicht erklärt werden, indem man einige Zusatzannahmen macht. Der Teilnehmer der Umfrage sagt nur das, was von ihn gesellschaftlich erwartet wird oder eben was er denkt, dass der Interviewer von ihn hören will. Anders zu reden statt zu handeln mag moralisch fragwürdig sein, ist aber auch eine Art "evolutionärer Vorteil" für denjenigen, der es praktiziert. Es wäre also sehr wohl zu erwarten, dass dieses Verhalten sich grundsätzlich durchsetzt.
Das Problem der dritten Position ist folglich nicht allein die Plausibilität, sondern auch das kulturell bedingte Vorurteil gegen diese.
Der Leser soll sich nun selbst ein Urteil bilden, was er denkt.
Kritik und andere Meinungen sind willkommen.
Siehe auch:
Marcus du Sautoy und die Grenzen der Erkenntnis vom 09.07.2021
Psychologie: Reproduktionskrise vom 02.02.2022