(26.04.2022, 10:45)saphir schrieb: Vielleicht war Gorbatchow (bzw. Russland) das auch klar, dass sie keinen juristisch gültigen Vertrag von der Nato bekommen werden, und haben es deshalb bei der mündlichen Bekundung ihres Interesses belassen.
Gorbatchow war niemals russischer Präsident, sondern vertrat die gesamte Sowjetunion. Einschließlich Ukraine und anderer Sowjetrepubliken.
Russland war damals noch eine teilautonome Sowjetrepublik.
Aus meiner Sicht ist der russische Standpunkt (oder der Russland bzw. Putin unterstellte Standpunkt) bestenfalls eine Interpretationssache.
Wenn man sich der Interpretation anschließt, ja, dann wurde Russland durch die NATO-Osterweiterung betrogen, sonst kann man viele Fragezeichen hinter diesen Standpunkt stellen.
In jedem Fall scheint es aber schwer zu rechtfertigen, wie dieser Betrug der NATO den Angriff gegen einen dritten Staat legitimiert.
(26.04.2022, 11:39)saphir schrieb: "Russland ist ein Geiselnehmer. Die Polizei versucht nun so viele Geiseln frei zu bekommen wie möglich. Im Rahmen dessen sagt man den Geiselnehmern Dinge zu. Sobald man aber merkt, dass die Geiselnehmer Schwächen zeigen, versucht man immer mehr Geiseln frei zu bekommen. Man redet den Geiseln zu, die Flucht zu ergreifen. Am Ende bleiben den Geiselnehmern nur noch wenige Geiseln, denen sie nun Schmerzen zu fügen, aus Rache dass die Polizei ihnen falsche Zusagen gemacht hat."
Das Bild ist krumm und suggeriert uns bereits eine gewisse Sichtweise.
Russland zu diesem Zeitpunkt war meines Erachtens kein Geiselnehmer, sondern eher selbst Geisel. Die Befreiung einer Geisel ist auch etwas völlig anderes als die Aufnahme dieser Geiseln in einen bestimmten Verein.
Konkret gesagt, die Völker des Ostblocks wurden zum Teil befreit, als sie von der Hegemonie der Sowjetunion loskamen und eigene Politik machen konnten, ohne den Einmarsch der Roten Armee erwarten zu müssen wie in Ungarn, Prag usw.usf.
Damit das aber nie wieder passieren kann, wollten diese Völker zudem noch in die NATO, was von manchen Russen als gegen sie gerichtete Bedrohung interpretiert wird.
Man darf aber auch nicht vom heutigen Zustand zurückprojezieren. Es könnte sein, dass die Russen damals kein Problem damit hatten oder gar selbst in die NATO wollten oder eventuell einfach andere Sorgen hatten.
Jetzt kommen wir natürlich zu einer ethischen Frage. Man kann also lange darüber diskutieren.
Dennoch, um in diesen Bild zu bleiben: Die Polizei hat hier durchaus verantwortungslos gehandelt.
Versetzten Sie sich doch mal in die Lage der Geisel selbst oder eines Angehörigen: 6 Geiseln sind da, 4 kommen frei. Und das Leben der 2 anderen wird bewusst in Gefahr gebracht.
Da würden mir irgendwann solche Gedanken kommen wie "war das Leben dieser zwei Geiseln etwa weniger wert?", bzw. wenn ich selsbt dasitze "war es ihnen egal? Waren wir nur zahlen in eine Art moralischen Kalkül?".
Ich erinnere hier noch mal an die Debatte um das Abschießen von entführten Passagiermaschinen und die vielen Stellungnahmen von Politikern, Ethikern und Verfassungsjuristen zu diesem Thema.
saphir schrieb:Man hat mittlerweile aber 90% der Geiseln befreit. Hat die Polizei falsch gehandelt?
Die Polizei hat jedenfalls ihre Verantwortung gegenüber den Wohl oder den Rechten der 10% immer noch gefangenen Geiseln nicht wahrgenommen.
Das ist bestenfalls moralisch uneindeutig.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass man das als Heldentat feiern würde. Höchstens als leider notwendige Tragödie dessen gedenken.
saphir schrieb:Muss man den Geiselnehmern das Recht zuerkennen, die restlichen Geiseln nun zu misshandeln und sich deren Hab und Gut anzueignen?
Das halte ich in jedem Fall für falsch.